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Späte Schuld

Späte Schuld

Titel: Späte Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kessler
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auch keinen Führerschein. Seine Kollegen bezeichneten ihn hinter seinem Rücken als völligen Nichtsnutz, der kaum dazu in der Lage war, eigeninitiativ zu arbeiten. Seine Berufsbezeichnung lautete »Laborant«, hätte aber genauso gut »Laufbursche« heißen können. Im Gegensatz zu anderen, jüngeren Laboranten wurde er nie zu Fortbildungen geschickt, weil man annahm, dass ihm für anspruchsvolle Labortätigkeiten sowieso die Begabung fehlte.
    Meistens arbeitete er im Blutalkohol-Labor, aber manchmal machte er auch Botengänge für die Toxikologie oder die Drogenabteilung. Nie für die DNA-Abteilung. Aber er wusste, wie dort gearbeitet wurde und dass es manchmal drunter und drüber ging. Die chaotischen Zustände im Labor waren auch der Grund, warum er hin und wieder etwas vergaß, was man ihm aufgetragen hatte, und nicht etwa, weil er faul oder inkompetent gewesen wäre, oh nein.
    Aber seine Vorgesetzten sahen das meist anders, und deshalb war er auch heute wieder zum Abteilungsleiter des Blutalkohol-Labors zitiert worden.
    »Erinnern Sie sich, dass Sie vor einem Monat eine offizielle Abmahnung wegen Verwendung einer bereits benutzten Testlösung bekommen haben?«
    Cole erinnerte sich noch genau an den Vorfall. Er hatte unter enormem Zeitdruck gestanden, und im Labor war es hektisch zugegangen, deshalb hatte er einfach nach der nächstbesten Flasche mit angerührter Testlösung gegriffen. Dabei war ihm entgangen, dass es sich um eine alte Lösung handelte, die ein anderer Laborant bereits benutzt und zum Wegwerfen beiseitegestellt hatte. Wenn er die Lösung tatsächlich benutzt hätte, hätte das katastrophale Folgen haben können, weil er Proben aus echten Kriminalfällen untersucht hatte. Zum Glück hatte der andere Laborant seinen Fehler gerade noch rechtzeitig bemerkt und eingegriffen.
    »Ja, Sir, aber inzwischen bin ich vorsichtiger geworden. Ich achte immer darauf, dass ich nur frische Flaschen verwende.«
    »Das kann aber nicht ganz stimmen, Mr Cole.«
    Jerry Cole wurde rot. »Ich weiß nicht, was Sie meinen, Sir.«
    »Sie wissen aber, dass das Gesundheitsministerium uns alle drei Monate Proben schickt, um zu testen, ob öffentliche Einrichtungen wie das kriminaltechnische Labor fehlerfrei arbeiten?«
    »Ja, Sir.«
    In Wirklichkeit hatte er davon keine Ahnung gehabt, aber er traute sich nicht, das zuzugeben.
    »Tja, letzte Woche ist wieder ein solcher Test durchgeführt worden, und die Ergebnisse sind soeben eingetroffen. Es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Sie den Test nicht bestanden haben.«
    »Wie … ich persönlich?«
    »Ja, Mr Cole. Die Proben waren markiert, und die anderen Laboranten haben bestanden. Sie waren der Einzige, der durchgefallen ist.«
    »Da muss ich wohl irgendwie unter Zeitdruck gestanden haben, Sir, sonst hätte ich …«
    »Hier stehen alle unter dem gleichen Zeitdruck, Mr Cole. Sie sind wie gesagt der Einzige, der nicht bestanden hat. Und das nach Ihrem Fauxpas von vor einem Monat. Sie haben bereits eine offizielle schriftliche Verwarnung erhalten, deshalb kann ich leider keine weiteren Verwarnungen aussprechen. So leid es mir tut, wir müssen Sie entlassen.«
    »Aber das ist unfair, Sir!«
    »Die Entscheidung ist endgültig und arbeitsrechtlich nicht zu beanstanden. Wir zahlen Ihnen ein zusätzliches Monatsgehalt und eine Abfindung für die letzten zwanzig Jahre. Damit sollten Sie über die Runden kommen, bis Sie eine neue Arbeit gefunden haben. Außerdem haben Sie noch Anspruch auf drei Wochen Urlaub, die wir Ihnen ausbezahlen. Ich schicke einen Sicherheitsmann, der Ihnen hilft, Ihr Schließfach zu räumen.«
    Fünfzehn Minuten später stand Jerry Cole auf der Straße und war arbeitslos.

Mittwoch, 19. August 2009 – 10.15 Uhr
    Als die Richterin am dritten Prozesstag ihren Platz einnahm, war die Anspannung im Gerichtssaal förmlich zu spüren. Heute hatte die Verteidigung zum ersten Mal Gelegenheit, das Opfer zu befragen. Nervös saß Claymore am Anwaltstisch. Die Angst stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben.
    Am Vorabend war Bethel Newton mit dem Wissen ins Bett gegangen, dass man sie heute einem gründlichen und strengen Kreuzverhör unterziehen würde, dessen war sich Andi bewusst. Tatsächlich hatte auch sie eine beinahe schlaflose Nacht in ihrem Hotelzimmer verbracht, wo sie zu allem Überfluss auch noch auf Genes tröstende Anwesenheit verzichten musste. Sie hatte lange im Bett gelegen, und als sie schließlich aufgestanden war, hatte sie das Gefühl

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