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Späte Schuld

Späte Schuld

Titel: Späte Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kessler
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dass man ins Auto eines Fremden steigt, noch nicht sein Recht auf Schutz vor Vergewaltigung verwirkt hat.«
    Sarah Jensen setzte sich und warf Alex, der einen frustrierten Eindruck machte, einen selbstgefälligen Seitenblick zu.
    »Miss Newton«, setzte Andi ihr Kreuzverhör fort. »Ist es möglich, dass Sie Ihrer Ansicht nach keine andere Wahl hatten, als per Anhalter zu fahren, weil Sie von den Versuchen, Ihr Auto zum Laufen zu bringen, müde waren und möglichst schnell in die Stadt zurückwollten?«
    »Ja«, antwortete Bethel, die dankbar war, dass sie wieder auf einsilbige Antworten zurückgreifen konnte. Bei der polizeilichen Befragung hatte sie noch ausgesagt, sie habe es nicht geschafft , ihr Auto zum Laufen zu bringen. Andis subtile Umformulierung war ihr entgangen.
    »Und ist es nicht ebenso möglich, dass Sie sich – da Sie ja müde waren – geirrt haben, was einige Details des Vorfalls angeht? Vielleicht nicht bei den großen, aber bei den kleineren?«
    »Ja, vielleicht«, antwortete Bethel nervös.
    »Wenn Sie sagen, Sie seien vergewaltigt worden«, fuhr Andi fort, »dann gibt es sicher keinen Grund, das zu bezweifeln. Sie sagen, Sie seien nicht einverstanden gewesen mit den sexuellen Handlungen, und da Sie selbst am besten wissen, was Sie wollten und was nicht, sollte das auch niemand in Frage stellen. Aber ist es nicht möglich, dass Sie sich bei einer Sache geirrt haben, die letztlich auch nur ein Detail ist: bei der Identifizierung des Vergewaltigers?«
    »Der Mann, der mich vergewaltigt hat, ist Ihr Mandant, Elias Claymore«, sagte Bethel mit rauer Stimme.
    »Aber haben Sie der Polizei nicht anfangs gesagt, dass Ihr Vergewaltiger zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt war?«
    »Ja, anfangs schon.«
    Ihr Stimme klang jetzt matt, aber noch bedeutsamer war für Andi, dass sie sich nicht mehr auf einsilbige Antworten verließ, obwohl das völlig gereicht hätte.
    »Würden Sie sagen, dass der Angeklagte zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt ist?«
    Bethel drehte sich zu Claymore um. »Nein, aber als ich nach dem Mittagessen noch mal bei der Polizei war, habe ich ausgesagt, dass er älter war.«
    »Ach ja, als sie zum zweiten Malbei der Polizei waren. Da haben Sie den Beamten auch mitgeteilt, dass Sie den Vergewaltiger in einer Fernsehsendung gesehen haben.«
    »Ja.«
    »Wie alt sieht der Angeklagte Ihrer Meinung nach aus?«
    »Wie fünfzig ungefähr.«
    »Er ist achtundfünfzig. Wie konnten Sie ihn da zunächst für einen Mann zwischen zwanzig und dreißig halten?«
    »Ich weiß es nicht«, antwortete Bethel leise und wischte sich eine Träne aus dem Auge.
    »Und wann ist Ihnen aufgegangen, dass er doch älter ist?«
    »Ich habe ihn wie gesagt auf einem Fernsehbildschirm gesehen. Der Fernseher stand in einem Schaufenster. Der Angeklagte hat eine Talkshow moderiert, aber ich kannte die Sendung nicht. Als ich eine Nahaufnahme von seinem Gesicht gesehen habe, wusste ich, dass er es ist.«
    »Den Vergewaltiger haben Sie doch auch von Nahem gesehen, oder?«
    »Ja.«
    »Und trotzdem dachten Sie, er sei zwischen zwanzig und dreißig.«
    »Ich hatte Panik.«
    »Aber auch wenn man in Panik ist, sieht ein achtundfünfzigjähriger Mann nicht plötzlich aus wie Mitte zwanzig.«
    »Ich war verwirrt.«
    »Sind Sie sicher, dass Sie jetzt gerade nicht verwirrt sind?«
    »Nein.«
    »Sie sind nicht sicher, ob Sie verwirrt sind?«
    »Nein. Ich meine, ich bin nicht verwirrt.«
    »Ist es möglich, dass Sie auf dem Fernsehbildschirm einen Mann gesehen haben, der wie eine ältere Version Ihres Vergewaltigers aussah, und dass Sie deshalb gedacht haben, er sei es gewesen?«
    »Nein. Hören Sie, ich weiß genau, was ich sage! Der Mann, der mich vergewaltigt hat, sitzt dort drüben!«
    Andi machte eine kurze Pause und tat so, als sei sie zwar schwer getroffen, aber nicht bereit, so leicht aufzugeben. Mit langsamer, aber bewegter Stimme fragte sie: »Ist es das erste Mal, dass Sie einem Mann Vergewaltigung vorwerfen?«
    Bethel sah zu Sarah Jensen hinüber, die ihr unauffällig zunickte. Andi hätte diese nonverbale Kommunikation bei der Richterin anprangern können, beschloss aber, sie zu ignorieren und Bethel so zu einer Antwort zu zwingen.
    »Nein«, gestand die Zeugin mit zittriger Stimme und schniefte mädchenhaft.
    »Stimmt es, dass Sie vor zwei Jahren gegen Ihren Mitschüler Luke Orlando eine ähnliche Beschuldigung vorbrachten?«
    »Ja.«
    »Und dass Sie die Beschuldigung später zurückzogen und zugaben, dass Sie

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