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Späte Schuld

Späte Schuld

Titel: Späte Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kessler
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standen sich Jerry Cole und Andi unbeholfen gegenüber. Andi winkte Alex herein, während sich Cole nervös neben dem Stuhl vor dem Schreibtisch herumdrückte, von dem er gerade aufgestanden war. Er war ein magerer, etwa vierzigjähriger Mann mit gebeugter Körperhaltung, der immer wieder in einer beinahe unterwürfigen Geste die Hände aneinanderrieb.
    »Alex, das ist Jerry Cole«, stellte Andi ihren Besucher vor und schloss die Tür. »Wie Sie wissen, arbeitet er im selben Labor wie Victor Alvarez.«
    »Bitte setzen Sie sich doch«, sagte Alex und wies auf den Stuhl. Cole nahm unbeholfen Platz und blickte sich im Büro um, als könnte er dadurch einen weiteren Stuhl für Alex hervorzaubern.
    Um ihm die Befangenheit zu nehmen, lehnte sich Alex ans Fensterbrett, während Andi zu ihrem Schreibtischstuhl zurückkehrte.
    »Hatten Sie einen angenehmen Flug?«, fragte Alex.
    »Oh, äh, ja, danke.«
    Sie hatten ihm den Hin- und Rückflug bezahlt und sogar eine Übernachtung, damit er ohne Zeitdruck am nächsten Tag zurückfliegen konnte.
    »Mr Cole«, sagte Andi. »Warum erzählen Sie Mr Sedaka nicht, was Sie mir gerade erzählt haben?«
    Cole holte nervös Luft und fing an zu reden: »Ich kann Ihnen auf jeden Fall etwas zu den Arbeitsbedingungen im Labor sagen. Wir waren hoffnungslos unterbesetzt und hatten deshalb einen riesigen Arbeitsrückstand. Im Labor liegen massenhaft Proben herum und warten darauf, getestet und dokumentiert zu werden.«
    »Ist das für den Claymore-Fall von Bedeutung?«, fragte Alex. »Ich meine, liegen bei Ihnen im Labor noch Proben, die meinen Mandanten entlasten könnten?«
    »Ich war nicht persönlich bei den Tests dabei, die mit den Proben von Claymore und Newton durchgeführt wurden. Aber es ist von Bedeutung, weil unter dem großem Zeitdruck natürlich Fehler passieren. In dem Labor arbeiten auch einfache Laboranten ohne Hochschulabschluss, und zwar nahezu unbeaufsichtigt.«
    »Was kann da in der Praxis alles schiefgehen? Bei DNA-Tests, meine ich.«
    »Na ja, die größte Gefahr ist die Verunreinigung durch andere Proben.«
    »Wie kommt es dazu?«
    »Wissen Sie, wie DNA durch Polymerase-Kettenreaktion vermehrt werden kann?«
    »Ja.«
    »Dann ist Ihnen sicher auch klar, dass die kleinste Verunreinigung, die vor dem Thermocycler in die Probe gerät, dort genauso vervielfältigt wird.«
    Alex nickte. »Das nennt sich Drop-in, oder?«
    Cole war überrascht. »Oh, Sie kennen sich aus.«
    »Natürlich.«
    Alex wurde langsam ungeduldig. Er war davon ausgegangen, dass dieser Mann konkrete Informationen besaß, die ihnen beim Prozess helfen konnten. Dabei hatte er nur vage, allgemeine Aussagen über das Labor zu bieten.
    »Ich erinnere mich, dass es am Tag, an dem die Claymore-Probe getestet wurde, sehr hektisch zuging. Der Laborant, der den Test durchgeführt hat, war total nervös.«
    Alex spitzte die Ohren. »Wie heißt der Laborant?«
    »Steven, glaube ich. Ja … Steven Johnson.«
    »Haben Sie irgendeine Ahnung, warum er nervös war?«
    »Nein, nicht direkt. Mir ist nur aufgefallen, dass er nervös war. Ich hatte an dem Tag nämlich auch viel zu tun.«
    »Führen Sie ebenfalls DNA-Tests durch?«
    Cole schien Alex’ Frage nicht gehört zu haben.
    »Mr Cole?«
    »Oh, entschuldigen Sie … nein … nein. Ich habe in der Blutalkoholabteilung gearbeitet. Manchmal musste ich auch für jemanden in der Toxikologie oder Rauschgiftabteilung einspringen. Aber nicht im DNA-Labor.«
    Ein vielsagendes Leuchten trat in Andis Augen, als ihr die Vergangenheitsform auffiel. Alex wusste bereits, dass Cole nicht mehr in dem Labor arbeitete. Er hatte es ihm am Telefon erzählt, aber nicht mit dem Grund herausrücken wollen, woraufhin sich Alex vorgenommen hatte, später auf diesen Punkt zurückzukommen.
    »Hatte das irgendeinen speziellen Grund?«
    »Nein, das war einfach so. Jeder hatte seine Aufgaben. Manche Laboranten haben im DNA-Labor gearbeitet und manche eben in einer anderen Abteilung.«
    Aufgrund von Jerry Coles Alter hatte Alex da eine ganz andere Vermutung. »Aber hatten Sie denn nicht von allen Laboranten die meiste Berufserfahrung?«
    Jerry lächelte stolz. »Ja, hatte ich.«
    »Warum haben Sie dann nicht in der DNA-Abteilung gearbeitet? Machen wir uns nichts vor: Das ist doch sicher die wichtigste Abteilung im Labor – zumindest die prestigeträchtigste.«
    »Ja, aber der Abteilungsleiter mochte mich nicht, weil …« Er brach ab und schwieg verlegen. »Jedenfalls habe ich nicht in der DNA-Abteilung

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