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Späte Sühne - Island-Krimi

Späte Sühne - Island-Krimi

Titel: Späte Sühne - Island-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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äußerste Vorsicht geboten, denn Wachs ist bei hoher Temperatur hochentzündlich. Als ich wieder in die Küche kam, sah ich schwarzen Rauch aus dem Topf aufsteigen. Statt ihn einfach mit einem Deckel abzudecken und das Gas abzudrehen, griff ich nach dem Topf, um ihn nach draußen zu befördern. Genau in dem Augenblick entzündete sich das Wachs, und eine Feuersäule stieg auf. Ich ließ den Topf fallen, das brennende Wachs spritzte in alle Richtungen. Auf dem Fußboden war überall Zeitungspapier. Die brennenden Wachsspritzer hatten mich an Armen und Händen getroffen, ich versuchte sie mit den Händen zu löschen. Die Brandwunden, die ich dabei erlitt, spürte ich erst viel später. Ich versuchte auch, das Feuer auf dem Fußboden auszutreten, doch das war hoffnungslos. Beim Herd stand ein Eimer mit Wasser, den ich über das Feuer goss, daraufhin kam es zu einer regelrechten Explosion, und ich konnte mich nur mit knapper Not ins Wohnzimmer retten. Im nächsten Moment war ich wieder auf der Treppe zum Dachboden, hämmerte gegen die Luke und brüllte wie ein Wahnsinniger, um Sunna dazu zu bewegen herunterzukommen. Dort war ich, als Wachtmeister Magnús ins Haus kam, der hatte natürlich das Feuer bemerkt. Er tastete sich durch den Rauch zu mir vor und zerrte mich halb bewusstlos aus dem Haus. Sunna war so entsetzt über mein Auftreten gewesen, dass sie sich nicht getraut hatte, wieder nach unten zu kommen. Und dann war es zu spät, Rauch und Feuer versperrten ihr den Weg. Diesen Gedanken will ich am liebsten nicht zu Ende denken.
    Wachtmeister Magnús setzte sich über die Funkanlage im Streifenwagen mit der Feuerwehr in Verbindung. Ich hatte eine Rauchvergiftung und Brandwunden, ich war am Ende meiner Kräfte. Als die Feuerwehr endlich eintraf, war das Haus schon fast niedergebrannt. Der Junge, dieser Fabían, war verschwunden. Der Polizist bugsierte mich irgendwie ins Auto und brachte mich nach Reykjavík in mein Elternhaus. Dort schilderte ich meinem Vater unter Tränen, was passiert war, dass ich für den Tod einer wunderbaren jungen Frau verantwortlich war.
    Mein Vater, Ólafur Ingi Esjar, war bedauerlicherweise ein Mensch, der keinerlei Gefühlsduselei duldete. Er ließ einen befreundeten Arzt kommen, der meine Brandwunden behandelte und mir eine Beruhigungsspritze gab. Er brachte Wachtmeister Magnús dazu, einen Bericht zu verfassen, in dem er zu Protokoll gab, dass das Haus bereits bei unserem Eintreffen in Flammen gestanden hätte. Mein Versuch, ins Haus zu gelangen, um Sunna zu retten, sei gescheitert, und dabei hätte ich mir die Brandwunden und die Rauchvergiftung zugezogen. Dem Wachtmeister wurde nicht nur eine gute Stellung in Reykjavík in Aussicht gestellt, sondern auch zu verstehen gegeben, dass er sich keine Gedanken über seine weitere Karriere zu machen bräuchte. Mein Vater hatte einen ungeheuren Einfluss, niemand traute sich, ihm zu widersprechen. Man kam einfach nicht gegen ihn an. Auch Wachtmeister Magnús hielt es für ratsam, sich dem Willen meines Vaters zu beugen. Er wusste ja auch nicht, was sich zwischen Sunna und mir abgespielt hatte. Er ging davon aus, dass es ein Unfall war, mit dem ich nichts zu tun hatte. Es ging nur um die Frage, ob ich eingetroffen war, bevor es brannte oder erst danach. Er fand es vertretbar, die tatsächliche Reihenfolge zu ändern. In diesem Haus lebten verantwortungslose Menschen, die sich an keine Regeln hielten, da konnte seiner Ansicht nach alles Mögliche passieren. Ich möchte nicht, dass er für mein Vergehen büßen muss.
    Ich blieb im Haus meiner Eltern, bis die Wunden verheilt waren, und unterdessen arrangierte mein Vater die Zukunft für mich. Ich musste mein Amt niederlegen. Stattdessen erhielt ich einen Posten an unserer Gesandtschaft in Moskau, wo ein Onkel von mir Botschafter war. Bei unserem Auseinandergehen legte mein Vater die Richtlinien für mein weiteres Leben fest: Ich musste den Familiennamen Esjar ablegen und mich nach seinem zweiten Vornamen benennen. Mit dem Außenminister hatte er die Vereinbarung getroffen, dass ich in Zukunft ausschließlich im Ausland tätig sein und die Positionen bekleiden würde, die man mir zuteilte. Botschafter würde ich niemals werden. Diese Regelung wurde in einer Aktennotiz festgehalten, von der nur die jeweiligen Ministerialdirigenten wissen. Unter diesen Auflagen verließ ich Island. Was in Sandgil durch mein Verschulden geschehen war, las sich als Unfall: Herstellung von Kerzen unter unzulänglichen

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