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Späte Sühne - Island-Krimi

Späte Sühne - Island-Krimi

Titel: Späte Sühne - Island-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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nichts wissen wollten. Meine Uniform war für sie eine lächerliche Kostümierung, ein Symbol für die staatliche Macht und eine Bedrohung.
    Ich fing an, sie zu grüßen, wenn sie vor dem Genossenschaftsladen spielte, ich steckte ihr heimlich Scheine in den Gitarrenkasten, manchmal auch größere Summen. Ich bildete mir ein, dass das Lächeln, das ich zum Dank erhielt, mehr war und mehr bedeutete als nur die Lebensfreude, die sie ausstrahlte und großzügig mit anderen teilte. In mir hatte sich der absurde Gedanke festgesetzt, dass ich die Liebe dieser schönen Fee gewinnen könnte.
    Doch dann kam bei den Behörden der Verdacht auf, dass die Hippies in ihrem Haus in Sandgil Cannabis züchteten. Bei mir ging eine Anfrage der Kriminalpolizei in Reykjavík ein, irgendjemand hatte durchblicken lassen, dass Jón und Helgi in den Reykjavíker Vergnügungslokalen Rauschgift unter die Leute brachten. Hinzu kam ein Hinweis des Stromversorgers in meinem Bezirk, der Stromverbrauch in Sandgil war auf einmal extrem gestiegen. Die Hippies wurden beschattet, und dabei stellte sich heraus, dass regelmäßig freitags zwei oder drei von ihnen nach Reykjavík fuhren und erst am Sonntag wieder zurückkamen. Sie waren in den Tanzlokalen von Reykjavík hinlänglich bekannt. Dort verkauften sie ihre Produktion. Im nächsten Schritt lauerte die Reykjavíker Polizei ihnen am Rauðavatn kurz vor den Toren der Stadt auf, und dabei wurden Jón, Helgi und Rakel mit einer erheblichen Menge Marihuana geschnappt, das zum Verbrauch bestimmt und entsprechend abgepackt war. Parallel zu dieser Aktion erhielt ich Anweisung, nach Sandgil zu fahren, um die beiden anderen festzunehmen, Sunna und Fabían, sowie die Pflanzen und die ganze Ausrüstung zu beschlagnahmen.
    Gegen Abend fuhr ich mit Magnús Magnússon, dem damaligen Polizeiwachtmeister in Hvolsvöllur, nach Sandgil. Als wir auf dem Hof vorfuhren, bat ich Magnús, im Auto zu warten, ich wollte zunächst allein ins Haus, um mit Sunna zu reden. Ich bildete mir ein, ihr begreiflich machen zu können, in was für einer üblen Gesellschaft sie sich befand, und dass ich sie vor Schlimmerem bewahren könnte, wenn sie zu mir in die Residenz des Bezirksamtmanns ziehen würde. Heute weiß ich natürlich, wie unglaublich albern dieser Versuch war, doch damals machte mich die Liebe zu diesem Mädchen blind. In meiner Einfalt ging ich sogar davon aus, dass ich durch mein Auftreten und aufgrund meiner Stellung ihr Herz genau in dieser Stunde gewinnen könnte – sie musste doch verstehen, dass ich gekommen war, um sie zu retten, das musste sie doch zu schätzen wissen! Auf eine derartige Idee kann wohl nur jemand kommen, dem sein ganzes Leben lang alles auf dem Silberteller präsentiert wurde. Reichtum, Ausbildungschancen, Stellung und Wertschätzung in der Gesellschaft. Dem niemals etwas verweigert worden war.
    Ich klopfte energisch an die Tür und betrat das Haus, es war nicht verschlossen. Sunna befand sich in einem großen Zimmer, das eine Art Werkstatt zu sein schien. Sie stand an einem Arbeitstisch und stellte Kerzen her. Bei meinem Anblick erschrak sie natürlich fürchterlich. Ich griff nach ihrer Hand, führte sie zum Sofa und setzte mich zu ihr. Ich versuchte, ihr schonend beizubringen, dass ihre Hausgenossen festgenommen worden waren, und dass ihr das auch bevorstehen würde. Ich sagte ihr, dass nur ich sie davor bewahren könnte. Alles wäre ausgestanden, wenn sie zu mir ziehen würde, ich würde mich ihrer annehmen. Ich gestand ihr meine Liebe und sagte ihr, dass ich sie zu meiner Frau machen wollte. Als ich versuchte, sie zu umarmen und zu küssen, riss sie sich los, rannte die steile Holzstiege zum Dachboden hinauf und schlug den Lukendeckel zu. Sie hielt mich bestimmt für geistesgestört und ging davon aus, dass ich zu allem fähig war. Das war ich im Grunde genommen auch, denn nun versuchte ich mit Gewalt, die Luke hochzustemmen. Auf einmal merkte ich, dass der junge Fabían mich von der Küchentür aus beobachtete. Ich wollte ihn erst einmal in Gewahrsam nehmen und in den Streifenwagen bringen, bevor ich mich weiter mit der Luke abgab. Also sprang ich die Stufen hinunter, aber er floh durch die Küche und die Hintertür nach draußen und verschwand in der Dunkelheit. Ich bin ihm nachgerannt und habe eine ganze Weile nach ihm gesucht, bevor ich wieder ins Haus zurückkehrte. Ich wusste zu dem Zeitpunkt nicht, dass der Junge damit beschäftigt gewesen war, Wachs zu schmelzen. Bei so etwas ist

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