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Späte Sühne - Island-Krimi

Späte Sühne - Island-Krimi

Titel: Späte Sühne - Island-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Platz zu nehmen.
    »Ich habe gerade Tee gemacht«, sagte sie. »Kann ich dir auch eine Tasse anbieten?«
    »Ja, vielen Dank.«
    Sie schwiegen beide, während Rakel aus einer Kanne Tee in zwei Tassen goss, die sie zum Tisch brachte. Anschließend streckte sie ihre Hand nach einem Umschlag aus, der in einem Regal über dem Tisch lag. Sie setzte sich Birkir gegenüber an den Tisch und reichte ihm den unbeschrifteten Umschlag.
    Birkir öffnete ihn und entnahm ihm eine Kassette und ein kleines Blatt. Er las:
    »Ich, der Unterzeichnete, gestehe, dass ich in der Nacht auf Montag, den 12. Oktober, in der isländischen Botschaft in Berlin den Tod von Anton Eiríksson herbeigeführt habe.
    Reykjavík, am Abend des 12. Oktober,
    Fabían Sigríðarson.
    Unterzeichnete Zeugen: Helgi Kárason, Rakel Árnadóttir.«
    »Bist du nicht deswegen gekommen?«, fragte Rakel.
    Birkir nickte.
    »Fabían hat gesagt, dass du es bald herausfinden würdest.«
    »Tatsächlich?«
    »Ich sollte dir diesen Umschlag aushändigen. Was hat dich auf seine Spur gebracht?«
    »Wir haben am Tatort Spuren einer bestimmten Hautcreme gefunden, und solche Tuben habe ich in seinem Zimmer gesehen. Ich soll mir wohl die Kassette anhören?«
    »Ja, er möchte, dass du das hörst.«
    Birkir besah sich die Kassette, sie war alt und überspielt worden. Auf der einen Seite war sie mit Bob Dylan beschriftet, doch der Name war wieder durchgestrichen worden. Birkir fragte: »Warum hast du mir das nicht schon heute Morgen zusammen mit dem anderen Umschlag gebracht?«
    »Ich hatte gehofft, wir würden noch eine kleine Frist bekommen. Zumindest ein paar Tage.«
    »Kann ich mir das hier anhören?«
    »Im Wohnzimmer gibt es so ein Gerät. Dort ist im Augenblick niemand, da hast du deine Ruhe. Nimm deine Tasse einfach mit.«
    Rakel ging ihm voraus ins Wohnzimmer und schaltete eine alte Stereoanlage ein. Birkir schob die Kassette in das Gerät und drückte auf die Wiedergabetaste. Die Aufnahme war klar, doch die Stimme sehr schwach. Es gab immer wieder Pausen, in denen man hören konnte, dass der Sprecher etwas trank. Hin und wieder hinderte ihn ein Hustenanfall am Weitersprechen, und dann brauchte er einige Zeit, um sich zu erholen. Die Aufnahme lief weiter. Nach und nach kamen die Zusammenhänge ans Licht.
    »Mein Name ist Fabían. Meine Mutter starb, als ich acht Jahre alt war. Als sie erkrankte, wurde ich als Pflegekind auf einem Bauernhof in den Westfjorden untergebracht. Er befand sich in einem abgeschiedenen Tal, und außer mir waren dort noch vier andere Jungen als Pflegekinder. Ich war bereits einige Monate dort, als ein Landarbeiter auf dem Hof eingestellt wurde, Anton Eiríksson, achtzehn Jahre alt. Er war für die Kühe und den Kuhstall zuständig, und bei der Heuernte fuhr er den Traktor. In ihm glaubte ich, einen Vertrauten gefunden zu haben. Ich hatte mit niemandem reden können, seit ich meiner Mutter weggenommen wurde. Anton hatte immer Zeit, sich mit mir zu unterhalten, und wenn er in den kleinen Handelsort fuhr, brachte er mir oft etwas zum Naschen mit. Er schärfte mir aber strengstens ein, niemandem davon zu erzählen, denn er wollte den anderen Jungen nichts mitbringen. Er sagte, sie seien böse. Ich aber sei ein guter Junge, ich sei sein Freund. Natürlich fühlte ich mich geschmeichelt, dass ich von jemandem bevorzugt wurde, zu dem die anderen Jungen aufschauten. Ich träumte davon, so zu werden wie er, Traktor fahren zu können, und die Haare mit Brillantine zurückzukämmen. Im Herbst hatten dann die Leute auf dem Hof vor, mit allen Jungen nach Reykjavík zu fahren, um ihnen die Hauptstadt zu zeigen und ins Kino und ins Nationalmuseum zu gehen. Die Reise ging vom Handelsort aus mit dem Küstendampfer nach Reykjavík und sollte zwei Wochen dauern. Unterdessen war es Antons Aufgabe, sich um den Hof und die Wirtschaft zu kümmern. Ich freute mich natürlich auf die Reise, aber Anton wollte mich unbedingt bei sich auf dem Hof behalten, um ihm im Stall zu helfen. Ich sollte meinen Pflegeeltern sagen, dass ich keine Lust hätte, nach Reykjavík zu fahren und sie darum bitten, dass ich dableiben dürfte. Er sagte, ich wäre sonst nicht mehr sein Freund. Er wollte nicht allein auf dem Hof zurückbleiben. Ich versuchte es damit, ihm zu versprechen, dass ich das nächste Mal nicht mitfahren würde, aber er gab sich ganz niedergeschlagen und sagte, das hätte er nicht von mir erwartet. Ich ging also zu dem Bauern und sagte, dass ich mich irgendwie krank fühlte

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