Späte Sühne - Island-Krimi
wieder ihren Fuß auf deutschen Boden setzte.«
»Aber als das kommunistische System in der DDR zusammenbrach?«, fragte Birkir. »Hatte sie nach der Wiedervereinigung kein besseres Gefühl?«
»Nein, überhaupt nicht. Sie ist sicher, dass das alles zum Teufel gehen wird. Außerdem ist es eine fixe Idee von ihr, dass es wieder zu einem Krieg in Europa kommen wird. Sie hat immer sehr negativ reagiert, wenn ich darauf zu sprechen kam, nach Deutschland zu reisen, und ich habe mich einfach an den Gedanken gewöhnt, dass das nicht auf der Tagesordnung stand.«
»Und was hält sie von deiner Reise jetzt?«, fragte Birkir.
»Ich hab ihr gesagt, ich müsste dienstlich nach Egilsstaðir«, antwortete Gunnar. »Du darfst mich nicht verraten.«
»Ich will’s versuchen«, sagte Birkir.
14:30
Der Chauffeur der Botschaft stand vor der Zollsperre und hielt ein Schild mit der Aufschrift »Isländische Botschaft« hoch. Er war ein relativ kleiner Mann zwischen vierzig und fünfzig und trug einen gepflegten Anzug. Das dunkle, dichte Haar war straff zurückgekämmt. Sigmundur begrüßte ihn auf Englisch und stellte seine Begleiter als »Icelandic Police« vor.
Gunnar nickte dem Mann freundlich zu, der daraufhin eine Verbeugung machte.
»Please, follow me«, sagte der Mann auf Englisch und ging vor ihnen her zum Ausgang.
Birkir zupfte Gunnar am Ärmel, und sie blieben ein wenig zurück. »Versuch, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Er könnte uns vielleicht von Nutzen sein.«
Gunnar nickte zustimmend. »Hören wir, was er zu sagen hat.«
Der große BMW der Botschaft wartete im Bereich für Kurzparker, und der Chauffeur öffnete den Kofferraum. Geschickt brachte er die fünf Gepäckstücke unter, und dann hielt er die linke Hintertür für Anna auf, die noch ihre Zigarette ausdrücken musste, bevor sie einstieg. Sigmundur wollte sich auf den Beifahrersitz setzen, doch Gunnar klopfte ihm auf die Schulter.
»Ich habe längere Beine als du und einen fetteren Arsch«, sagte er und grinste so breit, dass seine Zahnlücke gut zur Geltung kam.
Sigmundur zögerte, setzte sich aber dann auf die Rückbank zu Birkir und Anna.
»Vielen Dank fürs Abholen«, sagte Gunnar auf Deutsch zu dem Chauffeur, als sie losgefahren waren. »Ich hoffe, dass wir Ihnen nicht zu viel Mühe machen.«
»Ach, Sie sind Deutscher«, sagte der Chauffeur. »Leben Sie schon lange in Island?«
»Mein ganzes Leben«, sagte Gunnar. »Meine Mutter ist Deutsche, sie ist nach dem Krieg nach Island gegangen.«
»Ich verstehe. Sie hat Ihnen gutes Deutsch beigebracht.«
»Wir sprechen immer Deutsch miteinander. Ich glaube, unsere Sprache ist ein bisschen altmodisch.«
»Sie sprechen sehr gutes Hochdeutsch«, sagte der Fahrer.
»Vielen Dank für das Kompliment«, sagte Gunnar und ließ die Stadt durch das Fenster auf sich einwirken. Dann fügte er hinzu: »Das ist ja wirklich eine höchst unangenehme Sache da in der Botschaft. Wissen Sie etwas darüber?«
»Nein, nur sehr wenig. Uns wurde bloß gesagt, dass gestern Morgen im Büro des Botschafters ein Toter gefunden wurde. Die Mitarbeiter stehen alle unter Schock. Die ganze Botschaft ist gesperrt, und die Leute müssen in zwei Behelfsräumen arbeiten.«
»Sie wissen also nicht, wer der Tote ist?«
»Nein, mehr habe ich nicht gehört. Gestern Morgen hat Botschaftsrat Ingason uns zu einer Besprechung gerufen und gesagt, dass der Tote kein Angehöriger der Botschaft ist, aber der Herr Botschafter hat ihn wohl gekannt.«
Gunnar schwieg eine Weile und genoss die Ausblicke auf die Metropole. Nie zuvor hatte er ein derartig großstädtisches Ambiente gesehen, und irgendwie fühlte er sich überwältigt. Unterdessen überlegte er, in welche Richtung er das Gespräch lenken sollte. Er spürte, dass der Fahrer nicht sonderlich willig war, über seinen Arbeitsplatz zu reden, doch er war zu höflich, um das direkt zum Ausdruck zu bringen. Am besten war es wohl, ein anderes Thema anzuschlagen. »Was ist denn eigentlich mit Hertha los? Ich verfolge die Bundesliga im Internet mit.«
Die Miene des Chauffeurs hellte sich auf. »Ach, Sie interessieren sich für deutschen Fußball?«
»Ja, Hertha ist meine Mannschaft«, erklärte Gunnar.
»Tatsächlich?«
»Ja, schon seit 1995, als Sverrisson zur Mannschaft stieß.«
Der Fahrer strahlte. »Ja, Jolly Sverrisson«, sagte er. »An den erinnern sich alle. Er war ein großartiger Spieler, vielleicht nicht der Schnellste, aber er war zuverlässig und hat großen Einsatz gezeigt.
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