Späte Sühne - Island-Krimi
Parlament war Konráð Björnsson so ein typischer Abgeordneter, der sich für seinen Wahlkreis starkmachte. Er war auch nie in der Position, sich so richtig in die Nesseln zu setzen. Dieser Aufstieg beim Parteitag war ein purer Zufall. Der Parteivorsitzende war wegen seinem zu sorglosen Umgang mit der Parteikasse in die Bredouille geraten, und Konráð war der Einzige, der eine Gegenkandidatur vorbereitet hatte. Der Nachwuchs in der Partei hatte ihm bei den parteiinternen Vorwahlen schwer zugesetzt, und er musste etwas unternehmen, um sich in Erinnerung zu bringen und seine Position in der Partei wieder zu festigen. Deswegen schwamm er auf den Wellen mit, die auf dem Parteitag hochschlugen, und wäre beinahe Vorsitzender geworden. In der Botschaft leistet er die beste Arbeit, wenn er nichts tut. Glücklicherweise ist das der Normalzustand.«
»Ist das nicht auf die Dauer etwas peinlich?«, fragte Birkir.
»Konráð ist ungefähr zwei Stunden am Tag nüchtern«, antwortete Sigmundur. »Er erscheint um zehn Uhr in der Botschaft, aber schon zum Mittagessen nimmt er sich das erste Glas zur Brust. Danach braucht sich niemand mehr seinetwegen Gedanken zu machen. Irgendjemand sagte mir, dass er die meiste Zeit damit beschäftigt ist, seine Memoiren zu schreiben. Seine Frau hingegen ergreift manchmal die Initiative und lädt ganz spontan Künstler zu kulturellen Veranstaltungen ein. Das geschieht nicht selten mit geringer Zeitvorgabe, und dann dürfen sich die Botschaftsangehörigen mit den Problemen herumschlagen, vor allem mit der Finanzierung. Das ist nach dem Bankencrash schwierig geworden, weil sich kaum noch Sponsoren finden lassen.«
»Du hast gesagt, dass die Dame an dem besagten Abend später zu dieser Gesellschaft gestoßen ist.«
»Ja. Sie heißt übrigens Hulda. Sie kam wie gesagt sehr spät in die Botschaft und ist dann in der Nacht mit Konráð nach Hause gefahren. Diese Frau ist schon eine Nummer für sich. Es gibt das Gerücht, dass Konráð sie als Vertreterin einer Fraueninitiative innerhalb der Partei in den Parteitag eingeschleust hat, damit sie für ihn stimmen konnte. Aber für den anschließenden Festabend musste sie natürlich zum Friseur und vergaß ganz, dass sie bei der Wahl zum Parteivorsitzenden anwesend zu sein hatte. Das war die eine Stimme, die zum Gleichstand fehlte, denn dann hätte das Los zwischen Konráð und dem amtierenden Vorsitzenden entscheiden müssen. Das kommt bei den beiden manchmal zur Sprache, wenn der Haussegen schief hängt.«
»Und wie wirkt sich das, was da gestern passiert ist, auf die Position des Botschafters aus?«, fragte Birkir.
»Er wird sofort zurückgerufen, zumindest zeitweilig. Ich werde die Botschaft nach außen hin repräsentieren, entweder bis er wiederkommt, oder bis ein neuer Botschafter akkreditiert ist.«
»Was für Namen stehen sonst noch auf der Liste?«
Das Flugzeug hatte inzwischen die volle Flughöhe erreicht, und Sigmundur schaltete sein Smartphone wieder ein.
»Tja, wie gesagt, Arngrímur hat uns gestern die Liste gefaxt. Als Erster wäre der Ehrengast zu nennen, Jón Sváfnisson, der Sonnendichter. Du weißt, wer das ist?«
»Ich kenne sein Gedicht: Wenn hellere Tage und Träume sich mehren, rührt dich ein leiser Windstoß an. Und so weiter.«
»Ja, du kennst ihn also«, sagte Sigmundur. »In Deutschland ist gerade eine Übersetzung seiner Gedichte erschienen. Die Frau des Botschafters hat ihn nach Berlin eingeladen, und dort hat er am vergangenen Sonntag im gemeinsamen Veranstaltungssaal der Botschaften eine Lesung gehalten. Er brachte einen Freund mit, der die grafische Gestaltung seiner Bücher macht, den Künstler Fabían Sigríðarson.«
»Hatte der Sonnendichter auch noch andernorts in Deutschland Lesungen auf dem Programm?«
Sigmundur warf einen Blick auf das Display, bevor er antwortete. »Ja, erst war der Auftritt in Berlin, und laut Arngrímurs Übersicht wird die Reise am nächsten Wochenende auf der Buchmesse in Frankfurt enden.«
»Weitere Namen?«
Sigmundur las vor: »Unnar Mathieu, Modedesigner aus Reykjavík, und sein Ehemann Starkaður Gíslason.«
»Nummer fünf und sechs«, zählte Birkir mit.
»Helgi Kárason, der mit seinen Keramikarbeiten internationale Berühmtheit erlangt hat, und Lúðvík Bjarnason. Sie bereiten eine Ausstellung im Felleshus, dem Gemeinschaftshaus der Botschaften, vor, die nach dem Jahreswechsel eröffnet wird. Lúðvík assistiert Künstlern bei Ausstellungen im Ausland und wird
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