Späte Sühne - Island-Krimi
Erkältung wurde aber davon nicht besser, und seine Laune auch nicht.«
»Dieser Sturkopf. Aber genug davon. Wir müssen weiterkommen. Was für Leute waren das da in Berlin?«
Birkir holte eine Liste aus der Tasche und las die Namen vor.
»Alle zwischen vierzig und sechzig«, fügte er hinzu. »Anton und der Botschafter waren die ältesten.«
Magnús nahm das Blatt entgegen und besah sich die Namen genau.
»Die Medien machen uns die Hölle heiß, sie wollen diese Namensliste sofort veröffentlichen. Falls da irgendetwas durchsickert, haben wir keine Ruhe mehr vor denen. Wir müssen das ganz schnell über die Bühne bringen.«
Magnús blätterte in Birkirs Bericht.
»Was glaubst du?«, fragte er schließlich.
»Irgendetwas ist sehr seltsam an diesem Fall«, antwortete Birkir. »Alles deutet darauf hin, dass sich Anton Eiríksson ganz kurzfristig entschlossen hat, den Botschafter zu besuchen. Trotzdem war dieses Messer für den Mörder zur Stelle.«
»Kann es nicht eine andere Erklärung dafür geben?«, fragte Magnús.
»Wer schleppt sich denn mit so einer Waffe zu einer Dichterlesung und einem Empfang in einer Botschaft ab?«, fragte Birkir zurück.
»Vermutlich nicht viele«, gab Magnús zu. »Ist es völlig undenkbar, dass es sich um jemanden handelt, der gar nicht zu der Gruppe gehörte?«
»Ja. Das Sicherheitssystem schließt das aus.«
»Was für Indizien haben wir?«
Birkir berichtete ihm von dem Handabdruck auf dem Schreibtisch des Botschafters und den Kerzenleuchtern. »Mehr nicht«, sagte er zum Schluss.
»Dann hat es jetzt oberste Priorität, die Fingerabdrücke von sämtlichen Personen auf der Liste zu bekommen. Wenn wir Glück haben, finden wir die Lösung dort. Was für einen Eindruck hattest du von diesen Leuten?«
»Wir haben nur mit dem Botschafter und seiner Frau und einem der Gäste gesprochen, dem Sonnendichter Jón Sváfnisson. Bei dem weiß man nicht, woran man ist.«
Magnús nickte und sagte: »Ich kenne ihn vom Sehen. Sein Benehmen ist ziemlich exzentrisch.«
»Wir waren Zeugen, wie sie ihn auf der Buchmesse in Frankfurt wegen Randalierens rausgeworfen haben«, sagte Birkir. »Außerdem war er heute auch mit uns im Flugzeug, aber da hat er sich manierlich aufgeführt. Er saß bloß die ganze Zeit da und las ein Buch von Günter Grass, Die Blechtrommel . Hat auch kein einziges Bier getrunken. Er ist noch größer als Gunnar und fühlte sich eindeutig sehr unwohl auf seinem Platz.«
»Ich glaube nicht, dass er zu Gewalttätigkeit neigt«, sagte Magnús. »Aber er könnte bei sich zu Hause etwas mehr Ordnungssinn an den Tag legen. Sein Haus liegt ganz in der Nähe von unserem, und es ist, milde ausgedrückt, keine Zierde des Viertels. Er hat es von seinen betuchten Eltern geerbt, ein großes, eindrucksvolles Haus, das aber überhaupt nicht instand gehalten wird. Der Garten ist völlig verwahrlost und voll von irgendwelchem Plunder. Er vermietet Zimmer, und unter den Mietern sind einige ziemlich schräge Typen.«
»Inwiefern schräg?«, fragte Birkir.
»Alle möglichen Sonderlinge und ausgeflippten Typen mit künstlerischen Ambitionen. Solche Leute können recht lästig sein, wenn sie so in geballter Form zusammenleben. Und außerdem dieses ganze Federvieh in seinem Garten.«
»Federvieh?«
»Ja, die Vögel. Die Autos von den Nachbarn sind oft total zugeschissen von den Vögeln, die bei Jón gefüttert werden. Und das Gekreisch ist ebenfalls nervtötend, wurde mir gesagt. Die Anwohner in dem Viertel haben versucht, etwas dagegen zu unternehmen, aber das ist schwierig, denn das Haus ist natürlich in Privatbesitz.«
»Es handelt sich ja wohl auch nicht um illegale Aktivitäten?«, fragte Birkir.
»Nein, streng genommen nicht, aber für Leute, die es gern ordentlich und gepflegt um sich herum haben, ist es bestimmt nicht schön, so etwas ständig vor Augen zu haben. Könnte sogar den Wohnungswert in diesem Viertel mindern.«
»Ich sehe mir das morgen an«, sagte Birkir. »Ich muss diesen Fabían als Zeugen vernehmen. Er wohnt zur Untermiete bei Jón.«
»Das Haus findest du leicht«, sagte Magnús. »Da hat jemand mit großen Buchstaben ›Jónshús‹ vorne drangemalt. Auch das ist nicht gerade eine Augenweide.«
20:30
Erst nachdem Birkir alle schriftlichen Unterlagen aus Berlin abgelegt hatte, fuhr er nach Hause. Niemand hatte ihm gesagt, dass er das sofort tun müsse, aber er wollte nicht den nächsten Tag mit unerledigtem Kram von gestern beginnen. Es würde genügend
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