Späte Sühne - Island-Krimi
»Lyrik, kauft isländische Lyrik! Liebe Freunde, hier gibt’s ein Buch mit Gedichten!«
Gunnar hörte, wie eine Frau am nächsten Stand stöhnte: »Mein Gott, jetzt fängt dieser Isländer schon wieder an.«
Birkir war nicht am Kaffeestand, und Gunnar musste ihn anrufen, um ihn auf dem Gelände zu finden. Birkir sagte ihm die Nummer des Gangs, in dem er sich befand. Als Gunnar ihn endlich gefunden hatte, sah Birkir sich an einem großen Stand Bücher über klassische Musik an.
»Ich habe schon jede Menge Angebote bekommen«, sagte Birkir. »China ist Ehrengast auf der Buchmesse, und alle glauben, dass ich einer der chinesischen Herausgeber bin. Vielleicht ist das der richtige Moment, um den Beruf zu wechseln.«
»Ich kriege eine Erkältung«, sagte Gunnar und zog die Nase hoch.
»Was hat der Sonnendichter gesagt?«, fragte Birkir.
Gunnar berichtete ihm von seinem Gespräch mit Jón Sváfnisson. »Wir sind keinen Schritt weitergekommen«, sagte er und nieste in den Ärmel. »Verdammtes Ausland.«
»Wir fliegen morgen nach Hause«, sagte Birkir. »Die Botschaft hat einen Flug für uns hier von Frankfurt aus gebucht.«
Als Gunnar und Birkir sich dem Ausgang näherten, sahen sie, wie zwei Sicherheitsbeamte den Sonnendichter abführten. Sie blieben stehen und beobachteten, wie der Dichter sich von beiden Männern mit Handschlag verabschiedete und in ein Taxi stieg, das sie für ihn bestellt hatten. Die Mission des Sonnendichters auf der Buchmesse in Frankfurt war ganz offensichtlich beendet.
Donnerstag, 15. Oktober
17:30
Birkir war zwar nicht ganz so negativ gegenüber Auslandsreisen eingestellt wie Gunnar, doch sie gehörten auch nicht zu seinen Lieblingsbeschäftigungen. Eine solche Reise nahm meist einen ganzen Tag in Anspruch, oder zumindest die ganze Kraft, die Birkir für einen Tag zur Verfügung stand. Er hatte einmal gehört, dass auf Flugreisen die Seele nicht so schnell über die Meere fliegt wie der Körper, sie bräuchte immer einige Tage, um sich am Zielort einzufinden. Diese Theorie sagte ihm zu. Meist war er erst nach einer Woche wieder vollkommen im Gleichtakt mit dem Leben. Die einzigen Auslandsreisen, die er gern unternahm, waren die zu Marathonläufen in ausländischen Metropolen, denn da befand er sich in einer Gesellschaft, die ihm gefiel, und das Ziel war klar umrissen, 42,2 Kilometer mit Zigtausenden von anderen Läufern zu bewältigen, am liebsten in einer Zeit unter drei Stunden, aber das war ihm bislang noch nicht gelungen. Es raubte ihm sozusagen die gesamte Kraft eines Tages, etwa dieselbe Zeit in einem Flugzeug verbringen zu müssen.
Deswegen hatte Birkir eigentlich nach dem Rückflug von Frankfurt nach Reykjavík genug, aber sein Pflichtbewusstsein trieb ihn ins Kommissariat. Dort angekommen, begab er sich direkt ins Büro von Magnús, seinem Vorgesetzten.
»Ich hab das während des Flugs fertig gestellt«, sagte Birkir und legte einen ausführlichen Bericht über die Berlin-Reise vor Magnús auf den Tisch.
»Wo ist Gunnar?«, fragte Magnús, während er die Seiten überflog.
»Er liegt mit Erkältung zu Hause im Bett. Außerdem hat er einen Hexenschuss.«
»Wieso einen Hexenschuss?«
»Er hat so heftig niesen müssen.«
»Hat er es wegen ein paar Niesern im Rücken?«
»Ja, das ist im Flugzeug passiert. Die Sitze im Flugzeug sind viel zu eng für ihn.«
»Er ist ja auch viel zu dick.«
Birkir schüttelte den Kopf. »Er ist nicht nur dick, er ist auch groß. Dafür kann er nichts.«
»Vielleicht.«
»Nach der Landung hat er eine halbe Stunde gebraucht, um aus dem Flugzeug zu kommen. Ich habe einen Rollstuhl für ihn organisiert und ihn zu den Taxis kutschiert. Ich hatte vor, einen Krankenwagen für ihn zu bestellen, aber das wollte er nicht. Er war stinksauer.«
»Ja.«
»Er wollte Businessclass fliegen, aber es war nicht möglich, das Ticket zu ändern.«
»Businessclass?«
»Ja. Auf dem Flug nach Berlin hat er dort gesessen. Da ging es ihm besser, dort ist ja auch viel mehr Platz.«
»Wieso hat er denn dort gesessen?«
»Der Mann aus dem Außenministerium, der mit uns geflogen ist, war so liebenswürdig und hat den Platz mit ihm getauscht.«
»Na schön«, sagte Magnús. »Richte ihm aus, dass er zum Arzt gehen und seinen Rücken behandeln lassen soll. Dieser Fall muss so schnell wie möglich gelöst werden.«
»Ich bin mit ihm direkt zur Ambulanz gefahren. Er hat zwei Spritzen in die Lenden bekommen, und danach konnte er sich wieder etwas aufrichten. Die
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