Späte Sühne - Island-Krimi
Starkaður holte eine Schachtel Zigaretten aus einem Schrank und zündete sich mit einem Feuerzeug eine an. Birkir bemerkte, dass er dazu die rechte Hand benutzte.
»Kennst du Personen, die seine Opfer waren?«, fragte Birkir.
»Ich kenne niemanden persönlich, aber bei uns reden alle darüber.«
»Bei uns?«
»Im Schwulenverband.«
»War Anton Mitglied?«
»Du lieber Himmel, nein. Der wäre nie dort aufgenommen worden. Bei uns hatte er nichts zu suchen.«
»Wieso nicht?«
»Solche Leute können wir absolut nicht in unseren Reihen gebrauchen, denn ihretwegen gibt es die meisten Vorurteile uns gegenüber. Unaufgeklärte Menschen glauben nämlich, dass alle Homosexuellen Kinder verführen.«
»Ich verstehe, was du meinst«, sagte Birkir. »Es ist sicher schwierig, mit derartigen Vorurteilen zu leben.«
»Genau. Unsere menschlichen Kontakte und sexuellen Beziehungen bauen auf gegenseitiger Achtung, Zuneigung, Liebe und Gleichberechtigung auf. Jeglicher Missbrauch, in welcher Form auch immer, ist in unseren Augen unerträglich. Die sexuellen Präferenzen spielen dabei keine Rolle.«
»Ihr seid Anton bei der Besprechung mit dem Botschafter begegnet, nicht wahr?«
»Ja, sie war aber nur sehr kurz. Mir ist völlig schleierhaft, wieso der Botschafter glaubte, dass wir etwas miteinander zu besprechen hätten. Anton verließ fluchtartig das Zimmer, als wir ihm sagten, was wir von ihm hielten.«
»Was für ein Zimmer?«
»Wir waren im Büro des Botschafters.«
Birkir trank einen Schluck Wasser und sagte dann: »Anton ging danach einige Male ins Büro des Botschafters. Hast du bemerkt, dass jemand ihm gefolgt ist?«
»Du lieber Himmel, nein. Ich habe mir immer die Hand vor die Augen gehalten, wenn er in der Nähe war.« Starkaður hob die Hände an die Augen, um seine Worte zu unterstreichen.
»Unnar war die ganze Zeit bei dir?«
»Ja, selbstverständlich.«
»Bist du nach dieser Besprechung noch einmal in den dritten Stock gegangen?«
»Nein, natürlich nicht. Ich hatte dort nichts zu suchen.«
»Mit wem habt ihr euch an dem Abend unterhalten?«
»Hauptsächlich mit der Gattin des Botschafters, nachdem sie zu uns gestoßen war. Sie ließ sich über die Frühjahrsmode aus, und wir haben ihr zugehört, wie es sich für höfliche Gäste gehört.«
»Ihr seid dann als Erste gegangen?«
»Ja, und eigentlich hätten wir auch schon viel früher gehen wollen, aber Unnar ist manchmal auf die Unterstützung der Botschaft angewiesen, deswegen wollten wir den Botschafter und seine Gattin nicht vor den Kopf stoßen.«
»Habt ihr an diesem Abend Alkohol getrunken?«
»Ja. An so einem Abend blieb einem kaum etwas anderes übrig, als sich zu betrinken. Ich hatte am nächsten Tag einen fürchterlichen Kater, von dem ich mich eigentlich immer noch nicht richtig erholt habe. Aber ich weiß ganz genau, dass ich dieses Ekel nicht umgebracht habe, obwohl ich große Lust dazu verspürte. Hat ihm jemand den Schädel eingeschlagen?«
»Wieso fragst du?«
»Aus purer Neugierde.«
»Diese Frage kann ich nicht beantworten«, sagte Birkir.
»Na gut. Vielleicht bekommen wir es ja später zu wissen.«
»Wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind, wird es sicher offiziell bekannt gegeben«, sagte Birkir. »Was machst du beruflich?«, erkundigte er sich anschließend.
» EDV . Ich bin Informatiker und arbeite selbständig, mein Arbeitsplatz ist hier unten im Keller. Du darfst dich gerne mit mir in Verbindung setzen, wenn du Probleme mit deinem Computer hast, dir einen Virus einfängst oder dergleichen. Ich bin billiger als die meisten.«
»Danke, ich werd’s mir merken.«
Birkir überflog seine Notizen und fragte dann: »Kanntest du die anderen Gäste?«
»Die meisten hatte ich schon vorher irgendwann einmal getroffen.«
»War unter ihnen jemand, der deiner Meinung nach mehr als die anderen zu einer Gewalttat in der Lage wäre?«
»Nein, auf gar keinen Fall. Das sind keine Gewaltverbrecher«, sagte Starkaður lachend. Er lachte immer noch, als sich die Wohnungstür öffnete und jemand hereinkam.
»Liebling«, rief Starkaður, »komm herein. Hier ist ein Kriminalbeamter, der Witze reißt.«
»Guten Tag«, sagte Unnar Mathieu, ein ungewöhnlich schöner, schlanker Mann. Er war nicht mehr ganz jung und hatte die vierzig vermutlich schon um einiges überschritten. Sein Teint war mediterran, und das von Silberfäden durchzogene Haar war noch ganz dicht. Er trug einen gepflegten Oberlippenbart, der dunkler war als das Haar, und
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