Späte Sühne - Island-Krimi
oder mit welchem Namen oder in welcher Sprache sie angeredet wird. Es reicht, an das zu denken, was auf dem Spiel steht, aber es darf sich nicht um nichtige Dinge handeln.«
»Es hört sich so an, als hättest du das schon einmal ausprobiert«, sagte Birkir.
Der Polizeibeamte errötete. »Mein Sohn war einmal sehr krank. Da bin ich hierher gekommen.«
»Ich hoffe, er ist wieder gesund geworden«, sagte Birkir.
Der Polizeibeamte nickte.
Birkir blickte auf die Uhr und sah, dass es gerade zwölf wurde. Er trat mit dem Rücken zur Sonne in die Mitte des Kreuzes und breitete die Arme aus. Sein Schatten lag auf den Balken des Kreuzes und bildete auf ihnen ein weiteres Kreuz.
»Hast du vor, ein Gebet zu sprechen?«, fragte der Wachtmeister.
Birkir schüttelte den Kopf. »Nein, ich könnte nur um nichtige Dinge bitten«, sagte er. »Oder um Frieden und Glück für die ganze Welt. Aber damit ist die göttliche Allmacht wohl überfordert, solange die Menschheit sich die größte Mühe gibt, genau das Gegenteil herbeizuführen. Aber es ist gut, von diesem Ort zu wissen.«
Birkir war es ernst mit dem, was er sagte. Dieser Ort hatte etwas Sakrales. Er verspürte einen seltenen inneren Frieden und nahm sich vor, einmal im Sommer hierher zu kommen.
Sie fuhren zurück nach Hvolsvöllur. Auf dem Polizeirevier tranken sie Kaffee und aßen eine Scheibe Brot.
»Kann ich die Unterlagen über den Brand in Sandgil einsehen?«, fragte Birkir.
»Heute nicht«, sagte der Wachtmeister. »Das Archiv ist verschlossen, und den Schlüssel hat der Bezirksamtmann. Ich mache morgen eine Kopie und schicke sie dir.«
»Vielen Dank«, sagte Birkir.
»Aber vielleicht gibt’s auch einen kürzeren Weg für dich«, sagte der Polizeibeamte. »Euer Chef da in der Abteilung für Gewaltverbrechen, das ist doch Magnús Magnússon?«
»Ja, und?«
»Er war damals Wachtmeister hier in Hvolsvöllur. Nach dem Unfall wurde er nach Reykjavík versetzt. Soweit ich weiß, fuhr er mit dem Amtmann nach Sandgil, als das Haus in Flammen stand, und hat den Bericht verfasst.«
15:00
Auf dem Weg nach Reykjavík rief Birkir seinen Vorgesetzten an.
»Wir müssen miteinander reden«, sagte Birkir. »Und zwar über den Brand in Sandgil.«
»Muss das wirklich wieder aufgerollt werden?«, fragte Magnús. »Das liegt doch Jahrzehnte zurück.«
»Ja. Ich finde es nicht gut, dass ich erst nach Hvolsvöllur fahren muss, um dort zu erfahren, dass du damals an der Ermittlung beteiligt warst.«
»Ich sehe nicht, was dich das angeht«, erklärte Magnús kurz angebunden.
»Bei sämtlichen Personen in unserer Ermittlung führen die Spuren in die Vergangenheit, nach Sandgil«, entgegnete Birkir ruhig. »Selbstverständlich geht mich das etwas an. Ich benötige alle verfügbaren Informationen in dieser Sache.«
»Na schön«, sagte Magnús. »Komm bei mir zu Hause vorbei, wenn du wieder in Reykjavík bist.«
Magnús und seine Frau lebten in einem schönen alten Einfamilienhaus in einer Straße etwas nördlich vom Jónshús. Birkirs Wohnung lag ebenfalls in diesem Viertel, aber etwas weiter westlich. Trotz seiner bequemen Nähe zum Zentrum war es ein ruhiger Stadtteil. Meist war es aber schwierig, Parkplätze zu finden, deshalb fuhr Birkir zunächst nach Hause, stellte den Wagen auf seinem reservierten Parkplatz ab und ging zu Fuß zum Haus seines Vorgesetzten.
»Du hast das schöne Wetter gut genutzt«, sagte Magnús, als er Birkir an der Tür in Empfang nahm und in sein Arbeitszimmer führte. Es war sein Rückzugsort, an dem er seinem Hobby nachging. Er knüpfte Köderfliegen, mit denen er im Sommer Forellen fischte. An den Wänden hingen ausgestopfte Süßwasserfische und Fotos, die ihn beim Angeln an Seen und Flüssen zeigten. Farbenprächtige Köderfliegen hingen in gerahmten Glaskästen an der Wand, jede Fliege war mit Namen beschriftet. Bücher über das Forellenfischen und Angelstorys standen auf dem Arbeitstisch und in den Regalen.
Magnús bot Birkir einen Platz an und setzte sich selber hinter seinen Tisch. Ein kleiner Angelhaken klemmte unter einem Vergrößerungsglas, und die erste Feder war bereits daran befestigt worden. Über dem Arbeitstisch befand sich ein Regal mit durchsichtigen Kunststoffschublädchen, die das Material für die Kreationen enthielten.
»Erzähl mir, was damals in Sandgil passiert ist«, bat Birkir. »Wie war die Lage, als du und Amtmann Arngrímur dort eingetroffen seid?«
Magnús starrte angestrengt durch das Vergrößerungsglas.
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