Späte Sühne - Island-Krimi
versetzte ihm einen schweren Tritt gegen die Brust.
»Wer soll sich hier verpissen, hä?«, sagte er triumphierend.
»Du«, sagte eine heisere weibliche Stimme an der Tür. »Marsch nach Hause mit dir, oder ich knall dich ab.«
Als der Blonde hochblickte, sah er direkt in einen Gewehrlauf, der zwischen seine Augen zielte. Er wich ein paar Schritte zurück, drehte sich dann um und rannte davon, so schnell ihn die Beine trugen.
»Danke, Mama«, sagte Gunnar und holte sein Handy aus der Jackentasche. Er wählte drei Zahlen.
»Notruf«, hörte er eine Stimme sagen.
Gunnar gab Namen und Adresse an. »Ich brauche einen Krankenwagen, und zwar sofort. Ich glaube, ich habe die eine oder andere gebrochene Rippe und wahnsinnige Rückenschmerzen. Gar nicht zu reden von der Erkältung.«
02:10
Birkir wurde in der Unfallambulanz zu einem Krankenzimmer verwiesen. Gunnar lag auf der Seite und stopfte sich platt gedrückte Schokoladenrosinen aus einer zerknitterten Tüte in den Mund. Über dem dick angeschwollenen rechten Auge klebte ein großes Pflaster.
»Die hatte ich in meiner Tasche«, sagte Gunnar zur Erklärung. »Zu futtern gibt’s hier nichts.«
»Deine Mutter hat mich angerufen«, sagte er. »Sie hat gesagt, dass jemand versucht hat, dich umzubringen.«
»Ach, das war dieser blonde Kotzbrocken, der Brandstifter, den wir am Montag geschnappt haben. Er hat sich von hinten an mich rangemacht.«
Birkir zückte sein Handy. »Ich lass ihn sofort festnehmen«, sagte er.
Gunnar griff nach Birkirs Hand. »Nein, auf keinen Fall.«
»Weshalb denn nicht?«
»Der kommt doch sowieso bald wegen Brandstiftung in den Knast«, sagte Gunnar kurzatmig. »Was meinst du, wie der sich damit dicketun würde, wenn ihm eine Anzeige droht, weil er auf mich losgegangen ist. Das sollten wir ihm nicht gönnen.«
»Sollten wir nicht besser nach den Vorschriften vorgehen?«
»Nein. Sonst erzählt er überall rum, dass er mich untergekriegt hat. Wenn aber keine Anzeige erfolgt, glauben ihm die Leute nicht und lachen ihn nur aus. Das ist eine viel bessere Strafe für so einen Typ. Ich rechne später mit ihm ab.«
»Na schön, das ist deine Entscheidung«, sagte Birkir. »Wie geht’s dir?«
»Der Arzt sagt, dass nichts gebrochen ist. Schlimme Prellungen, aber ansonsten bin ich in einigermaßen guter Verfassung. Eine kleine Platzwunde und ein blaues Auge. Sie geben mir nachher eine Spritze wegen des Rückens, und ich bleibe hier über Nacht. Das kannst du Mama ausrichten.«
Birkir lächelte. »Mach ich«, sagte er. »Deine Mutter will auf keinen Fall, dass du noch einmal nach Egilsstaðir fährst. Sie sagt, dass bei dir seitdem alles Mögliche kaputt ist.«
»Da hat sie auch völlig recht. Hat sie dich nach unserer Reise gefragt?«
»Das wollte sie, aber ich habe gesagt, ich müsste dringend zu dir, um mit dir zu reden.«
»Gut. Unsere Versionen müssen übereinstimmen, aber das können wir später durchgehen.«
»In Ordnung«, sagte Birkir lächelnd.
»Weißt du was«, sagte Gunnar, »die alte Dame hat mich vorhin vor diesem Kerl gerettet.«
»Wirklich?«, sagte Birkir mit gerunzelten Brauen. »Davon hat sie mir nichts erzählt.«
»Sie war noch wach, als ich im Taxi nach Hause kam. Sie hat das Taxi gehört und einen Blick aus dem Fenster geworfen, weil sie sich Sorgen wegen meines Rückens machte. Und dann hat sie gesehen, wie der Typ über mich hergefallen ist. Sie hat sich mein Gewehr geschnappt und ist die Treppe runtergekraxelt. Der Kerl hat sich wie der Blitz verkrümelt, als er die Waffe sah.«
»Da hast du Glück gehabt«, sagte Birkir. »Aber muss diese Art der Verwendung einer Schusswaffe nicht gemeldet werden?«
»Nein, verdammt noch mal«, sagte Gunnar. »Der Überfall wird nicht angezeigt, und deswegen braucht es auch nirgendwo erwähnt zu werden, dass Muttern ihm mit der Flinte gedroht hat. Verstanden?«
»Ja.«
»Außerdem war das Ding nicht mal geladen.«
»Gut.«
»Aber da ist noch etwas anderes«, sagte Gunnar. »Ich habe heute Abend den Botschafter getroffen.«
»Tatsächlich?«
»Ja, und ich habe mich ausführlich mit ihm über die Hippies in Sandgil unterhalten. Konráð ist ganz in Ordnung, sehr umgänglich und großzügig.«
»Es macht bestimmt Spaß, mit ihm zu trinken«, sagte Birkir.
»Hör auf, darum geht es doch gar nicht. Er hat mir da ein paar wichtige Hinweise gegeben«, sagte Gunnar und berichtete Birkir von seinem Gespräch mit dem Botschafter über die Leute in Sandgil und den
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