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Späte Sühne - Island-Krimi

Späte Sühne - Island-Krimi

Titel: Späte Sühne - Island-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Bezirksamtmann in Hvolsvöllur.
    »Die Fäden, die nach Sandgil führen, mehren sich«, sagte Birkir, als Gunnar geendet hatte.
    »Ja«, sagte Gunnar und steckte sich die letzte Schokorosine in den Mund. »Willst du dir nicht die alten Unterlagen über diesen Brand ansehen?«
    »Das habe ich vor«, sagte Birkir.
    »Und vielleicht organisierst du mir was zu essen«, fügte Gunnar hinzu.
    11:20
    Birkir war abends kurz nach elf ins Bett gegangen, doch dann hatte Gunnars Mutter María ihn um zwanzig vor zwei in der Nacht angerufen. Er war sofort zur Ambulanz gefahren und hatte eine Stunde bei Gunnar verbracht. Als er wieder nach Hause kam, hatte er versucht, noch einmal einzuschlafen, aber ohne Erfolg. Um sieben war er völlig wach, blieb aber noch eine Stunde im Bett liegen und dachte nach. Dann stand er auf, machte sich Frühstück und fuhr anschließend in seinem kleinen Yaris auf der Ringstraße eins Richtung Osten.
    Auf dem Polizeirevier in Hvolsvöllur war nichts los, und der diensthabende Beamte, ein korpulenter Mann, der auf die fünfzig zuging, beschloss, selber mit Birkir in die Fljótshlíð zu fahren und ihm den früheren Hof Sandgil zu zeigen, wo der Sonnendichter Jón Sváfnisson 1973 eine Hippiekommune eingerichtet hatte.
    Der Himmel war wolkenlos, und die Luft war kalt und klar. Allein schon die Aussicht, die sich Birkir bot, hätte genügt, um diesen Ausflug zu rechtfertigen. Im Südosten ragte der majestätische Gletscher Eyjafjallajökull auf, und die Herbstfarben am langgezogenen Berghang der Fljótshlíð leuchteten intensiv im Sonnenlicht.
    Birkir fragte den Wachtmeister, ob man von da aus in die Þórsmörk hineinsehen könne, doch der Mann sagte, dass die Entfernung zu groß sei. Man müsse noch ein ganzes Stück auf einer schlechten Piste am Hang entlangfahren, um den Wald in der Þórsmörk jenseits des Gletscherflusses Markarfljót sehen zu können.
    Birkir dachte dabei vor allem an das Húsadalur. Im vergangenen Sommer hatte er am Laugavegur-Lauf teilgenommen, der von Landmannalaugar nach Þórsmörk führte, eine Strecke von fünfundfünfzig Kilometern. Er hatte den 58. Platz von 320 Teilnehmern belegt, in einer Zeit von sechs Stunden und drei Minuten. Im nächsten Sommer beabsichtigte er, die Strecke in weniger als sechs Stunden zurückzulegen.
    Sie fuhren etliche Kilometer auf einer schmalen, asphaltierten Straße, und dann noch ein kurzes Stück auf einer Schotterpiste. Sowohl am langgestreckten Hang zur Linken als auch im Flachland zur Rechten lagen bewirtschaftete Höfe und Ferienhäuser. Schließlich hielt der Wachtmeister bei einem schönen Wäldchen, das ziemlich weit vom nächsten bewohnten Haus entfernt war. Sie stiegen aus und betrachteten den Ort.
    »Die Brandruine wurde bald nach dem Unglück entfernt, soweit ich gehört habe«, erklärte der Polizist. »Danach wurde das Land zum Schutz gegen die Schafe eingezäunt und dieses Wäldchen gepflanzt. Der Sonnendichter besitzt das Land immer noch, aber er kommt nie hierher.«
    Sie kletterten über den Zaun und mussten über gefrorenes, verwelktes Gras stapfen, um zu der Stelle zu gelangen, wo das Haus gestanden hatte. Sie war von der Straße aus nicht zu sehen. Von dem Haus war nichts als das Fundament übrig geblieben. Gras hatte sich in Rissen im Beton angesiedelt, und die ebene Fläche war fast vollständig von sattgrünem Moos bedeckt. In den Beton waren Zeichen gemeißelt worden, ein Kreis von etwa zwei Metern Durchmesser und darin ein Kreuz. Die Linien waren etwa zehn Zentimeter breit und zwei Zentimeter tief. Es hatte bestimmt einige Mühe gekostet, dieses Symbol hier anzubringen.
    »Das Sonnenkreuz«, sagte Birkir.
    »Ich habe gehört, dass Leute mit Fürbitten hierher kommen, wenn ihnen etwas Wichtiges am Herzen liegt«, sagte der Wachtmeister. »Es heißt, dass man mittags um zwölf mit ausgestreckten Armen mitten auf dem Kreuz stehen und in Richtung der Sonne blicken muss. Dann fällt der Schatten des Betreffenden auf das Kreuz und bildet ein weiteres.«
    »Und an wen richtet man die Fürbitte?«, fragte Birkir. »Das ist doch ein heidnisches Zeichen.«
    »Genau«, sagte der Wachtmeister, »aber es spielt keine Rolle, an wen du dich wendest, an Christus, an Gott, den Heiligen Geist, an Allah, Buddha, Óðinn oder Þór, oder sogar an den Sagahelden Gunnar von Hlíðarendi. Dieser Ort hat angeblich direkte Verbindung zur Allmacht, wer immer sie ist. Die hört sich die Bitten an und macht sich keine Gedanken darüber, wie

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