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Späte Sühne - Island-Krimi

Späte Sühne - Island-Krimi

Titel: Späte Sühne - Island-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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einzelne Sekundenbruchteil dieses Abends in sein Gehirn eingebrannt war wie ein Film auf einer DVD . Er konnte den Gang der Ereignisse und die Umstände bis ins winzigste Detail beschreiben, und er konnte auch Zeichnungen von dem, was er gesehen hatte, anfertigen. Seiner Schilderung zufolge haben Sunna und er an dem bewussten Abend Kerzen gegossen. Er passte auf den Topf in der Küche auf, während Sunna die Formen herrichtete, die sich im Wohnzimmer befanden. Unsere Wachsschmelze war primitiv, man musste sehr auf der Hut sein. Eigentlich muss man den Topf mit dem Wachs ins Wasserbad stellen, damit es sich nicht über hundert Grad erhitzen kann. Wir haben aber das Wachs stattdessen auf einem kleinen Gasherd geschmolzen, auf diese Weise ging es einfach schneller. Es stand aber immer jemand neben dem Topf. Sobald das Zeug flüssig war, wurde der Topf vom Herd genommen und das Wachs in die Formen gegossen. Wie gesagt, Fabían hielt Wache beim Topf, als er hörte, dass ein Auto vorfuhr. Jemand kam herein und unterhielt sich mit Sunna. Er hat aber nicht gesehen, wer das war, denn er musste sich ja auf das Wachs konzentrieren. Das undeutliche Gespräch setzte sich noch eine Weile fort, ohne dass er verstehen konnte, was gesagt wurde. Auf einmal hörte er Schritte und Gepolter, Sunna sauste die Stiege zum Dachgeschoss hoch und schlug den Lukendeckel zu. Der Gast kletterte hinter ihr hoch und hämmerte von unten gegen die Luke. Da konnte Fabían sich nicht mehr zurückhalten, er warf einen Blick in die Diele. Er sah den Mann, und der Mann sah ihn. Der Mann sprang die Treppe hinunter, und Fabían flüchtete durch die Hintertür, die aus der Vorratskammer neben der Küche nach draußen führte. Er rannte hinter die Scheune und versteckte sich dort, während der Mann in der Dunkelheit nach ihm suchte. Dann sah er, wie der Mann wieder ins Haus ging, und kurz darauf drang Rauch zur offenen Hintertür heraus. Fabían schrie laut nach Sunna. Der Qualm wurde immer dichter, und dann schlugen plötzlich Flammen aus der Vorratskammer. Das Wachs musste sich entzündet haben. Das Feuer breitete sich in Windeseile aus, denn das Haus war aus Holz. Es war trocken, und an den Wänden befanden sich Tapeten. Als das ganze Haus lichterloh brannte, brachte Fabían sich in Sicherheit. Er sah noch, wie ein kleines Dachfenster geöffnet wurde, durch das Sunna versuchte, ins Freie zu gelangen. Dann stürzte das Dach ein, und sie verschwand in den Flammen. Dieser Anblick stand Fabían die ganzen Jahre vor Augen. Er sah und hörte nichts anderes. Erst viele Jahre später gelang es mit Hilfe von Hypnose, eine kleine Bresche in diese schwärzeste Finsternis zu schlagen, die sich seiner Seele bemächtigt hatte. Das Bild des Mannes, der ins Haus gekommen war, stand ihm lebendig und unauslöschlich vor Augen. Als er endlich wieder einigermaßen im Gleichgewicht war, fertigte er eine Zeichnung von ihm an. Seine zeichnerischen Fähigkeiten hatten unter der Katastrophe nicht gelitten. Das Bild zeigte einen Mann, den er nie zuvor gesehen haben konnte, weil er nie mit uns anderen nach Hvolsvöllur gefahren war. Jón und Rakel erkannten in der Zeichnung sofort den jungen Bezirksamtmann aus Hvolsvöllur wieder. Der Amtmann hat offiziell ausgesagt, dass alles in hellen Flammen gestanden hätte, als er und der Wachtmeister eingetroffen waren. Angeblich hätten sie versucht, in das Haus hineinzukommen, aber da sei nichts mehr zu retten gewesen. Der Amtmann hätte bei diesem Versuch Verbrennungen davongetragen. Die ganze Geschichte wurde so dargestellt, als sei dieser Vorfall dem jungen Bezirksamtmann so nahegegangen, dass er sich außerstande sah, weiter im Amt zu bleiben, und darum in den diplomatischen Dienst wechselte. Laut Fabíans Aussage hat es aber nicht gebrannt, als dieser Mann das Haus betrat. Sein Vorgehen führte dazu, dass Fabían das schmelzende Wachs vergaß und das Haus fluchtartig verließ. Vermutlich überhitzte sich das Wachs, und deswegen brach das Feuer aus. So gesehen trug eindeutig dieser Mann die Schuld an dem Brand und an Sunnas Tod. Aufgrund der Zeugenaussage des Amtmanns wurde aber Fabían die Schuld an dem Feuer gegeben. Das Ergebnis der Ermittlung besagte, dass Fabían beim Wachsschmelzen nicht aufgepasst hatte und für das Feuer verantwortlich war. Und wir, seine besten Freunde, haben ihm das zugetraut.«
    Birkir fragte: »Könnte es nicht sein, dass er diese Geschichte vom Bezirksamtmann erfunden hat, weil er die Schuld von sich

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