Später Frost: Der erste Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
ewig!«
Lindholm sah zu Delgado, der seine Kaffeetasse in der Hand umherdrehte.
»Warte, ich habe eine Idee.«
Delgado nahm sein Handy aus der Hosentasche und drückte eine Nummer. Während er auf das Zustandekommen der Verbindung wartete, sah er zuversichtlich zu Lindholm herüber. Dann begann er sehr schnell auf Spanisch zu sprechen, zwischendurch lachte er. Nach wenigen Minuten war das Gespräch vorüber, und er legte das Handy vor sich auf den Tisch. Zufrieden grinste er Lindholm an.
»Das war mein Cousin Frederico. Er studiert in Stockholm. Und rate mal, was für einen Nebenjob er hat.«
»Friedhofsgärtner?«
»Er ist Fahrradkurier. Einer von diesen Wahnsinnigen ohne Bremse am Rad. Er macht mir einen Sonderpreis. Und in einer Stunde ruft er uns vom Nordfriedhof an.«
3
»Es war ja nur eine Frage der Zeit«, sagte Frederik Axelsson, »das ganze Haus war voll von seinen Sachen. Den Kleidern und Perücken. Vielleicht hat er es am Ende sogar so gewollt. Er wusste, dass er alt war, dass es irgendwann zu Ende gehen würde. Wenn natürlich auch nicht auf diese furchtbare Weise. Und trotzdem hat er diese Dinge behalten. Ich habe darüber nachgedacht, wahrscheinlich konnte er sich nicht von ihnen trennen. Sie waren ein natürlicher Teil von ihm.«
Axelssons Blick löste sich von der Dunkelheit des Gartens. Er hatte nach der Tischkante gegriffen, und Ingrid Nyström sah, dass eine Ader auf seinem Handrücken pochte. Seine Augen glänzten wie gewaschene Kirschen, aber dieses Mal weinte er nicht.
»Du wirst dich gefragt haben, was das Versteckspiel soll, Balthasars und meins. Nach außen eine Lüge zu leben, lebenslang. Nie zu zeigen, wer man ist. Nie zu zeigen, was man ist. Ausreden zu suchen, Rechtfertigungen ... Du bist jung. Du weißt nicht, was es für eine Zeit war, hier in Schweden, nach dem Krieg. Als ich, als wir entdeckten, wer wir waren, was wir begehrten, wie wir leben wollten. Damals war Schweden anders als heute. Die Leute haben über uns gesprochen, als wären wir Kranke, Aussätzige, vor denen man sich fürchten muss, weil sie ihre Krankheit übertragen. Vor denen man die Gesellschaft schützen muss.«
Axelsson trank von seinem Tee. Dann sprach er weiter.
»Ich war damals ein junger Mann, der Lehrer werden wollte. Meine Gefühle auszuleben war für mich völlig undenkbar. Ich habe mich versteckt, wie die meisten von uns. Das ging so weit, dass ich mir eine Zeit lang sogar eine Freundin zugelegt hatte, Marlene, ein liebes Mädchen, aber Herrgott, was wollte ich von ihr? Bevor ich in den Albtraum einer verlogenen Ehe gerutscht bin, hat sie zum Glück die Notbremse gezogen und später jemand anderen geheiratet. Heute ist sie eine glückliche alte Frau mit acht oder neun Enkelkindern. Und ich? Ich bin alleine geblieben, über all die Jahre, kannst du dir das vorstellen? Ein Leben lang alleine? Ich bin ein Homosexueller am Ende seines Lebens, und ich habe nicht ein einziges Mal bei einem anderen Mann gelegen. Weißt du, was das heißt? Kannst du die Entbehrung begreifen, die Sinnlosigkeit eines solchen Lebens? Alles, was ich mich getraut habe, waren diese Poster an der Wand!« Seine Hand fuhr unwirsch nach hinten, eine unvermutete Wut flackerte auf, alter, verborgener Zorn. Und verlosch wieder. Axelsson schluckte. Sein Blick glitt zurück ins Unbestimmte.
»Und Frost?«, fragte Nyström nach einer Weile vorsichtig.
»Frost? – Balthasar war das Beste, was mir in meinem Leben passiert ist. Die intensivste Nähe, die ich zu einem Menschen erleben durfte. Es war nichts Körperliches zwischen uns, weißt du, wir waren schon alte Männer, als wir uns begegnet sind, aber seine Freundschaft hat mir unheimlich viel gegeben. Kraft, Nähe, Verständnis. Hier, in diesem Zimmer, habe ich mit ihm die wertvollsten Stunden meines Lebens verbracht. Auch wenn wir nur gesessen und gemalt haben, hat mir das eine Ahnung vermittelt vom Leben, das mir verwehrt geblieben ist.
Ich weiß, dass es für Balthasar nicht diese Bedeutung hatte, und das habe ich respektiert. Er hat die Liebe seines Lebens gelebt; vor meiner Zeit. Er hatte den Mut, es zu tun, zwar in einem Versteck, aber er hat es getan. Dafür habe ich ihn bewundert.«
Wieder war es lange still.
»Hast du seinen Partner kennengelernt?«
Axelsson antwortete schnell. »Nein. Als ich Balthasar kennenlernte, war Johan ein Jahr vorher von ihm gegangen. Nach einer langen Krankheit. Er war in großer Trauer, als wir uns trafen. Im Grunde war er das noch bis zum
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