Später Frost: Der erste Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
den sie suchten?
Hatte er das Gebilde hinterlassen, damit die Polizei es fand?
War es ein Hinweis auf etwas?
Ein Kommentar?
Eine Warnung?
Und was sollte ein Würfel aussagen oder symbolisieren? Glück? Zufall? Schicksal?
Alea iacta est, die Würfel sind gefallen. Das kannte Forss noch aus ihren Asterix-Heften. Für Frost waren die Würfel in der Tat gefallen.
Oder ging es einfach um den Parkschein, um die Informationen, die auf ihm standen?
Wollte der Täter ihnen mitteilen, dass er am selben Tag für zwanzig Minuten am Bahnhof geparkt hatte, um ... ja, wozu eigentlich? Um sich ein Würstchen am Kiosk zu kaufen? Eine Tageszeitung? Eine Zugfahrkarte?
Aber warum sollte er gerade etwas so Banales, Beiläufiges betonen, wo doch der Tatort eine ganz andere Sprache sprach? Forss dachte an das, was die Kollegen gesagt hatten.
Es muss ein Gefühl gewesen sein, als sei er von innen verbrannt.
Jemand wollte Öl ins Feuer gießen.
Das ist Folter. Jemand hat ihn zu Tode gefoltert.
Brennen, Feuer, Folter. Das war die Sprache von Hass, aber es gab auch ein Element von Kontrolle: Der Täter beobachtet Frost, bevor er zuschlägt. Er sitzt in dem alten Traktor und faltet einen Würfel. Dann nähert er sich ihm behutsam, wie ein Raubtier, das seine Beute einkreist. Dann sind sie im Glashaus, und der Täter weiß genau, welche Waffe, welches Werkzeug dort auf ihn wartet. Er weiß von dem Branntkalk, er weiß von der Gartenschere. Er hat Kontrolle über die Situation. Dann geschieht etwas. Schüsse fallen. Einer. Zwei. Für einen Moment gerät alles durcheinander. Chaos bricht herein. Schmetterlinge fliegen aufgeregt durcheinander. Schmerzen. Blut fließt. Dann ein Handgemenge. Kraft. Der Täter setzt seine Kraft ein. Er drückt Frost in den Branntkalk. Er hat die Kontrolle wieder zurückgewonnen. Er drückt weiter und weiter. Wie es sein Plan war. Dann nimmt er den Eimer mit Wasser und gießt ihn über dem zuckenden, bebenden Körper aus. Frost schreit auf, nein, er röchelt, seine Lunge, sein Hals sind voll von Feuer, und jetzt lodert es auf, seine Haut, seine Augen, alles scheint in Flammen zu stehen, zu verbrennen.
Schließlich nimmt der Täter eine Gartenschere und trennt Frost den Finger ab.
Forss kaute auf ihrer Lippe. Irgendetwas war in dem Glashaus passiert, was der Täter nicht geplant hatte, was ihn die Kontrolle verlieren ließ. Aber was konnte das sein?
2
Lars Knutsson hatte schlecht geschlafen, und das kam nicht oft vor. Er schlief normalerweise wie ein Bär. Zum letzten Mal hatte er so schlecht geschlafen, als der Orkan Gudrun über Südschweden getobt war und dabei mehr als 150000 Hektar Wald flachgelegt hatte. Das war vor fünf Jahren gewesen. Die Katastrophe hatte siebzehn Menschenleben gekostet, und ganze Gemeinden, darunter auch sein gemütliches Haus an der Nordspitze des Helgasees, waren zweieinhalb Wochen von der Stromversorgung abgeschnitten gewesen.
Doch der Wirbelsturm, der Knutsson heute zu schaffen machte, war ausschließlich seelischer Natur. Er hatte einen wirklich dummen Fehler gemacht, einen echten Anfängerfehler, und das, obwohl er der dienstälteste Polizist im Team war. Wenn es dem jungen Göran passiert wäre oder Stina, der Neuen aus Deutschland, dann wäre es nicht so schlimm gewesen. Aber ihm, dem Urgestein? Er hatte selbst keine Erklärung dafür, wie das hatte geschehen können.
Ingrid war zu Recht sauer auf ihn. Das war ja das eigentliche Drama. Zum ersten Mal, seit er sie kannte, war sie richtig wütend geworden. Er rechnete ihr hoch an, dass sie so viel Zurückhaltung und Anstand bewiesen hatte, mit ihm unter vier Augen darüber zu sprechen, statt vor den anderen auszuflippen. Sie war einfach eine tolle Frau. Die bemerkenswerteste, die er kannte. Von seiner eigenen Frau Lisa vielleicht einmal abgesehen. Das eine, unkontrollierte Wort, das ihr herausgerutscht war, hatte sich deshalb wie ein Schatten auf sein Herz gelegt. »Vollidiot«, hatte sie gesagt, »manchmal bist du ein richtiger Vollidiot, Lasse!«
Es war dieses Wort, an dem er sich die ganze Nacht festgebissen hatte, das ihn kaum hatte schlafen lassen.
3
Der Zug erreichte Stockholm trotz des dichten Schneefalls ohne Verspätung um kurz vor zehn. Vor dem Bahnhof stiegen Nyström und Forss in ein Taxi um. Hildegard Hedingks wohnte in dem Villenvorort Lidingö, eine Insel, die nordöstlich des Stadtzentrums lag. Die verschneite Hauptstadt mit ihren Gewässern, den vielen Brücken und Schiffen und den stolzen
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