Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens
ihnen von den Echorufen meiner Kindheit: Wie heißt der Bürgermeister von Wesel? Esel! Was kostet die Butter in Dänemark? Eene Mark!
ECHO I
Eine offene Rechnung
Zwei junge Frauen schlendern durch den Empfangssaal des Kreml, eine klein, eine groß, in Abendkleidern, glitzernd, voller Übermut. In ihrer Körperhaltung steckt Erwartung. Es war ein heißer Moskauer Sommer. Regine, die kleinere, trug keinen Slip unter ihrem Kleid. Du glaubst gar nicht, was das für ein Gefühl ist, flüsterte sie ihrer Freundin zu.
Ein Februartag, dreißig Jahre später. Das Licht ist rot an diesem Abend, die Luft vielversprechend. Riechst du den Frühling, Regine? Und wie. Ich habe mir das Rauchen abgewöhnt, wirklich, keine einzige mehr, nicht eine. Regine hatte Lockenwickler in ihre dicken, blonden Haare gedreht und drei Kilo abgenommen, sie möchte ihre Konturen erhalten, erkennbar bleiben. Aus dem Stegreif hält sie einen kleinen Vortrag zum Thema Alter: Mit fünfundsechzig war man früher eine Greisin, man konnte schlecht laufen, hatte einen Witwenbuckel, keine Zähne und graue Haut. Das hat sich geändert. Es gibt sechzig- und siebzigjährige Frauen, die sehr gut aussehen, die am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, gepflegt sind, gut riechen und Ansprüche haben.
Allgemein gesehen sieht die Lage rosig aus, konkret verdunkelt sich der Horizont ein bisschen, und die Regenbögen werden seltener. Mich macht das Alter wütend,sagt Regine, vielleicht werde ich ja dankbar und demütig, wenn ich noch älter bin, jetzt jedenfalls bin ich wütend. Ihre Gefühle und Ambitionen passen nicht zu ihrem Alter, findet sie. Als sie ihre erste Lesebrille bestellte, null komma fünf Dioptrin, hatte sie gedacht: Das wird schon wieder, eine vorübergehende Schwäche. Ich denke immer, ich werde noch mal wie neu. Es deprimiert sie, dass sie weniger schafft als früher. Sie hat gerade alte Kalender durchgesehen, ein Riesenprogramm stand da drin, ein Dutzend Dinge an einem Tag. Hat sie alles geschafft. Heute, sagt sie, reichen schon drei Dinge, um sie nicht zu schaffen. Früher, wenn sie bei Freunden auf dem Land eingeladen war, hat sie manchmal spontan gefragt: Soll ich euch die Küche weißen? Ja, wäre schön, haben die gemeint, sie hat es gemacht, sofort. Eine Nacht um die Ohren schlagen – kein Problem, am Morgen ein paar kalte Wassergüsse ins Gesicht, ein starker Kaffee, und los gings.
Das Alter ist die erste Situation in meinem Leben, gegen die ich nichts unternehmen kann, sagt Regine. Es sei ein gewaltiger Unterschied, allein oder zusammen älter zu werden. Sie lebe und arbeite weiter in ihrem gewohnten Umfeld, da kenne sie sich aus, sie habe aber keine Pläne mehr. Mit einem Mann könne sie sich sofort vorstellen, quer durch Amerika zu fahren, sie sei nicht der Typ Frau, die so etwas allein machen würde. Gemeinsam abnehmende Energie sei schließlich immer noch mehr als einzeln abnehmende Energie: Warum habe ich keinen Mann?
Regines letztes großes Abenteuer war Jesus aus Kuba, da war sie zweiundfünfzig, er fünfundzwanzig, ein schöner Junge mit olivfarbenem Körper. Und sie flog hin, nach Minas, weit weg von Havanna, mit Geschenkenfür die ganze große arme Familie ihres Geliebten: Jeans, Seife, Zahnpasta, Fahrradschläuche. Sie wohnte in einem Dollarhotel mit Swimmingpool und breitem Bett, all inclusive, außer Jesus. Ihr Kubaner durfte nicht rein ins Dollarhotel, »prohibido«, verboten, er musste draußen auf sie warten. Sie liebten sich in der stinkenden Absteige eines öden Vorortes, mit Brettern vor den Fenstern und einem hustenden alten Mann im Zimmer nebenan. Sie sei nicht bei sich gewesen, als sie Jesus heiraten wollte: Ich war plötzlich sechsundzwanzig.
Die Ehepapiere waren schon fertig, die Gäste geladen, die Musik bestellt, es war warm in Kuba in jenem November, da, im letzten Augenblick, zog sie die Notbremse und wurde wieder zu einer Frau von zweiundfünfzig, die keine Dummheiten mehr machen wollte in ihrem Leben: Wenn dir im Alter eine Liebe begegnet, hast du bedauerlicherweise so viele Erfahrungen gemacht, dass dir plötzlich alles einfällt, was gegen die Verbindung spricht, du glaubst zu wissen, was dir bevorsteht. Weil die Zeit drängt, möchtest du nicht mehr so viele Versuche machen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit schiefgehen, ich habe Jesus nicht geheiratet.
Da sei noch eine offene Rechnung mit dem Schicksal. Allein leben, das war nicht ihr Lebensentwurf. Manchmal sitzt sie auf dem Sofa und sagt leise zu
Weitere Kostenlose Bücher