Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens
sich: Das ist es jetzt gewesen. Das ist vielleicht das deutlichste Zeichen des Alters, dass du das denkst: Das ist es jetzt gewesen. Sie habe aber die Sehnsucht nicht begraben. Ihre Ansprüche würden allerdings immer subtiler: Kein Pfeifenraucher darf er sein, ach was, überhaupt kein Raucher, keiner, der nicht lustig sein kann, doof darf er auch nicht sein, arm möglichst auch nicht. Entflammenkann ich mich mühelos, hätte ich nicht gedacht, als ich jung war, dass sich daran nichts ändert im Alter. Das erotische Interesse ist da wie immer, genauso primitiv wie früher, ganz auf Oberflächenreize aus, das Beuteschema ist geblieben, aber ich traue mich nicht mehr, jemandem »frech in die Augen« zu sehen, wie du das immer genannt hast.
Vorige Woche war sie zum Klassentreffen. Sie saß neben einem ehemaligen Mitschüler, einem Frauenarzt, und der sagte zu ihr: Natürlich sehe ich, dass du eine alte Frau bist. Sie hat sich von ihm weggesetzt. Sie umgebe sich nur noch mit Leuten, die ihr gut tun. Sie sagt, wenn ihr was nicht passt. Wenn sie merkt, dass jemand nur nehmen will und nicht geben, bricht sie die Verbindung ab. Sie will nicht mehr so bedingungslos hilfsbereit sein.
Alles, was sie heute erzählt hat, würde sie an einem anderen Tag ganz anders erzählen: Die Dinge sind so. Und sie sind anders. Es gibt Tage, da sage ich: Alter – was ist das?
Guten Morgen, Klaus Fritz Max!
Müller ist aus Sibirien zurück. Von Moskau nach Peking in der Transsibirischen Eisenbahn. Er reist gern weit, nach Südamerika oder Kanada oder eben nach China. Klaus lebt allein, war kein Plan, hat sich so ergeben, nachdem die Verbindung mit Susanne, die wesentlich jünger ist als er, auseinander ging. Als Single müsse er sich dem Leben jeden Tag stellen, selbständig bleiben, und wenn es nur bedeute, dass er seine Hemden selber bügelt. Er habe keinen, der ihm sagt, wanner zum Friseur gehen soll, keinen, der ihm den Koffer packt, wenn er verreist. Er müsse wach bleiben, müsse sich mit Eindrücken und Erlebnissen füttern.
Als Optimist verlässt er sich auf sein breites Kreuz, seine Freunde und seine blauen Augen, für die er aus nicht ganz einsichtigen Gründen keine Brille braucht. Wenn im Fernsehen von Pflegefällen oder Altersheimen die Rede ist, fällt kurz ein Schatten auf das sonnige Gemüt des Wassersportlers, für den Fall seiner Hinfälligkeit hat er kein Konzept. Obwohl auch bei ihm der Tod schon mal angefragt hat. Die vierteljährliche Furcht vor dem Befund nistet in einer Ecke seines Gemüts, wobei jede Bestätigung eines nicht vorhandenen Befundes seine Lebenslust mächtig anfeuert.
Alter ist was Schönes, sagt Müller. Klaus Fritz Max Müller, wie er im Ganzen heißt. In Ruhe aufwachen, alles hübsch nacheinander machen, nicht nebeneinander wie früher. Mit dem Fahrrad zum Bäcker fahren, die Zeitung und ein Mohnbrötchen kaufen und kein Termin vor zehn. Klaus sieht keine Unterschiede zwischen dem alten und dem jungen Klaus, jedenfalls keine wesentlichen; er streicht sich durch die weißen Flusen auf dem Kopf – ich hatte mal dicke, braune Locken, weißt du noch? Alter sei eine Kategorie, die von außen an ihn herangetragen worden sei. Er selbst habe sich nie alt gefühlt, habe die Zuweisung aber schließlich angenommen und sich im Alter eingerichtet, aufgehoben im Kreis seiner lebenslangen Sportsfreunde. Wir sitzen alle in einem Boot, meine Segler und ich. Ebb Tide – ein Zweimaster, vierzig Tonnen, mit großer Koje und weiträumiger, gefliester Toilette, altersgerecht, sagt Klaus und lacht, als sei dieses Attribut ein Witz. Auf der Ebb Tide haben die versierten Seglernicht allzu viel zu tun, für die schweren Sachen kommt ein Jüngerer mit, der segelt gern mit den alten Hasen.
Das Alter, das sage er als promovierter Demograph, wird immer länger, länger als die Jugend; die Zeit aber bleibt immer gleich, eine Minute ist eine Minute, eine Stunde ist eine Stunde: Ich kann nur jedem raten – geht mit dem Alter um, als ob es keins gibt, wartet nicht auf die Kiste, die kommt sowieso, die Gegenwart ist das Leben, der Augenblick ist das Sein, carpe diem, guckt euch die Welt an!
Müller unternahm die Sibirientour als Einzelreisender, geplant von einem Reisebüro in Moskau, wo sie los ging. 1956, als Neunzehnjähriger, war er das erste Mal in Moskau gewesen, mit der Junioren-Nationalmannschaft Wasserball, da wohnten sie im Hotel Metropol am Roten Platz. Die kleine Straße neben dem Metropol, sagt er, sieht noch aus
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