Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens
Gewohnheiten geben Geborgenheit.
Alte Paare verstehen sich oft besser als junge, einer hat sich an den anderen gewöhnt, an seine Stärken, seine Schwächen, seine Marotten. Hand in Hand wandeln Philemon und Baucis durch ihre harmonisierte Welt, sie sind vielleicht nicht mehr ineinander verliebt, aber aufeinander angewiesen. Die Konflikte sind beigelegt, die Eifersucht, das Wer-bringt-den-Mülleimer-runter. Im Alter, vertraut bei einer Tasse Kaffee in der Bäckerei Kamps eine ältere Frau ihrer Freundin an, im Alter ist es am schönsten, diese schreckliche Sexualität und das Fremdgehen, das alles kaputt gemacht hat, sind endlich vorbei. Die Liebe im Alter ist die wahre Liebe. Spazierengehen, was Schönes essen, zusammen fernsehen und sich im Bett aneinander kuscheln, Gute Nacht, mein Schatz.
Alte Paare gehen gern gemeinsam einkaufen. Einkaufen bedeutet handeln, bedeutet auswählen und bestimmen. In der Drogerie Schlecker streift ein Paar durch die Regalreihen mit Babynahrung, Bohnerwachs und Coral flüssig, die Frau voran, der Mann hinterher. Die Frau sucht nach einem bestimmten Waschpulver mit einem bestimmten Entkalkungsanteil, sie ist nervös, ja erregt. Als ginge es nicht um ein Waschpulver, sondern um eine lebensnotwendige Medizin: Das stand doch immer hier, warum steht es jetzt woanders?! Ihr Mann, dem die aufgeregte Suche seiner Frau peinlich ist, versucht sie zu beruhigen, was nicht gelingt. Die Frau gesteht der Kassiererin, wie sehr sie ihre Waschmaschine liebt: Meine Waschmaschine ist das Liebste, was ich habe. Ich würde sie glattweg an Stelle des Fernsehers ins Wohnzimmer stellen. DerEhemann guckt ratlos ins Regal, an Liebe denkt er wohl nicht.
Manchmal ist die Gewohnheit eine Last. Brechts Unwürdige Greisin erlebte den Abbruch der Gewohnheit durch den Tod ihres Ehemanns als Befreiung. Ein Leben lang hatte sie nur für andere gelebt, sich als Tochter, Frau und Mutter aufgeopfert. Als ihr Mann starb, begann sie ein zweites Leben, da war sie zweiundsiebzig. Sie ging ins Kino, was zu ihrer Zeit als anrüchig galt. Sie aß jeden zweiten Tag im Restaurant, was als verschwenderisch angesehen wurde, sie verkehrte mit Leuten, die sie unterhaltsam fand, auch unrespektablen. Sie befreundete sich mit einem Flickschuster, weil der in der Welt herumgekommen war. Sie schenkte einem Küchenmädchen einen mit Rosen garnierten Hut, zu nichts nutze, nur hübsch. Kurzum, die alte Frau tat, was ihr Spaß machte, nicht der Pflicht lebte sie, sondern der Kür. Die einzige Konvention, der sie gehorchte, war ihr Wohlbefinden. Die Familie fand das Benehmen »der lieben Mutter« unerhört und ungehörig. Unwürdig eben. Die alte Frau genoss zum ersten Mal in ihrem Leben das Leben, sie war frei, als unwürdige Greisin und lustige Witwe.
Anruf einer alten Dame bei ihrer Jugendliebe. Wie es denn gehe, man habe sich lange nicht gesprochen, sie denke öfter an das Haus in der Chausseestraße, in dem sie damals gewohnt habe, und ob denn der Bäcker noch unten drin sei. Sie würde gern wieder mal nach Berlin kommen, sie habe ja jetzt Zeit. Im September sei ihr Mann verstorben, sagt sie mit hoher Mädchenstimme, er war schon lange krank, Krebs hatte er auch, aber daran sei Günther nicht gestorben, eher an den vielen Tabletten, die er einnehmen musste gegensein Asthma. Wie es ihr denn gehe, so allein, nach fünfzigjährigem Zusammensein mit ihrem Mann, fragt der Jugendfreund. Ach, sagt sie und hört sich fröhlich an, mir geht es gut, ich bin ja nicht allein, ich habe doch meine Kinder, die renovieren mir gerade die Wohnung, und ich habe ja auch viele Freundschaften hier im Ort. Sie hat schon immer die Faschingskostüme für alle genäht, nun könne sie, ohne ihren Mann zu fragen, an den Karnevalsveranstaltungen teilnehmen; bei so was hätte Günther immer mürrisch reagiert, dabei sei sie doch seit ihrer Jugend ein geselliger Mensch gewesen, diesmal gehe sie als Waldteufel zum Karneval. Ich richte jetzt alles neu ein in meiner Wohnung, sagt Christel, ich werde mir das Foto, das du damals von mir geknipst hast, als Poster machen lassen und an die Wand im Wohnzimmer hängen; du weißt doch, Peter, das, auf dem ich das gestreifte Kleid anhabe, wo der Gürtel fehlt, den hatte ich in der Nacht bei dir vergessen.
Der Homo senex, so er allein ist, lebt manchmal derart in den Tag hinein, dass er nicht mehr aus ihm heraus findet und die Tage ineinander fließen zu einem endlosen, gleichgültigen Meer der Einsamkeit. Aus einem Fenster im
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