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Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens

Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens

Titel: Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Voigt
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Gottfried Helnwein, einer ihrer letzten Freunde, es formulierte, »die Verteidigung ihres Gesichts«.
    Sie sehen aus wie eine amerikanische Schauspielerin, sagte die Frau an der Supermarktkasse, während sie meine Einkäufe scannte. Fernsehen oder Film, fragte ich und hoffte inständig, dass sie Helen Mirren meinte und nicht die alte Sophia aus Golden Girls. Nicht Fernsehen, sagte die Kassiererin, Hollywood. Als frisch gekürte Eintagsdiva packte ich die Tiefkühlgarnelen und den Reis ein und überlegte, wen sie mit Hollywood gemeint haben könnte. Vielleicht doch Sophia. Die muss nicht in die Matrazengruft, die kann spazieren gehen, wo und wann sie will, zum Mythos wird die nie.
    Das schaffe ich immer noch: Bei durchgedrückten Knien mit den Fingerspitzen den Boden berühren, was nicht auf sportliches Training, sondern auf anatomische Gegebenheiten zurückzuführen ist, kein Grund, übermütig zu werden. Die Schauspielerin Lilli Palmer,die ich bei den Dreharbeiten zu dem Film »Lotte in Weimar« traf, konnte das auch und war so stolz darauf, dass sie es mir, einer fremden jungen Journalistin, in ihrer Künstlergarderobe vorführte, da war sie sechzig. Mich hat das damals verblüfft, nicht, dass sie es konnte, sondern dass sie es mir zeigte. Anerkennung, die öffentliche Form der Liebe, ist lebensnotwendig, wir bleiben alle Kinder und wollen geliebt werden.
    Wie habe ich mich lustig gemacht über meine siebzigjährige Schwiegermutter, die auf ihrem Perserteppich gymnastische Übungen für einen flachen Bauch machte, »in ihrem Alter!« Dass die zierliche alte Dame nicht aufhörte, hohe Absätze zu tragen, sogar im Haus klapperte sie mit hochhackigen Pantöffelchen. Als ich jung war, hatte ich das lächerlich gefunden. Oma Anneliese hatte alt zu sein, befand ich, sie hatte draußen Gesundheitsschuhe zu tragen und drinnen Kamelhaarpantoffeln, hatte einen dicken Bauch zu haben und ein Gebiss. Ist doch egal, wie die Alten aussehen. Was wollten sie noch, Eindruck machen, bewundert werden? Oma Anneliese hatte weder das eine noch das andere vor. Sie wollte ihr Selbstbild erhalten, das aus den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts stammte und sich an dem Ufa-Star Lilian Harvey orientiert hatte. Sie wollte ihre Konturen erkennen können, wenn sie in den Spiegel sah. Ein Echo ihres Lebens als schöne Frau wahrnehmen, einen Nachhall der Dame von Welt, der Gattin eines Theaterintendanten und Gastgeberin fröhlicher Runden. Ein flacher Bauch war für sie die Voraussetzung mondänen Daseins, sie sah sich noch mit achtzig als mondäne Frau. Heute absolviere auch ich auf dem Teppich gymnastische Übungen, ich versuche, aus dem Schneidersitz ohne Hilfeaufzustehen, was mir nur gelingt, wenn ich die Übung regelmäßig exerziere. Hohe Absätze trage ich nur deshalb nicht mehr, weil ich mir im letzten halben Jahr zweimal einen Bänderriss zugezogen habe.
    Manchmal passiert es, dass ich in den Bus steige und meine BVG-Karte vergessen habe. Ich will ein Ticket kaufen und frage beim Einsteigen, wie viel es kostet, weil ich ja eigentlich eine Jahreskarte habe und deshalb den Preis für den Einzelfahrschein nicht weiß. Es ist vorgekommen, dass der Busfahrer das Geld für den Fahrschein nicht wollte. So was nehme ich als Kompliment, als Trostpflaster für die Anzeichen des Alters, die ich an mir bemerke. In der Handtasche kramen zum Beispiel. Ich krame in der Handtasche rum und behaupte, dass mein Portemonnaie weg ist, gestohlen vermutlich, was ich zwei Minuten später widerrufe, weil sich das Portemonnaie natürlich anfindet. Als Studentin habe ich mal auf einer Station für sterbende alte Frauen geholfen, das Abendessen auszuteilen. Da sah ich, wie eine Alte unentwegt mit den Händen auf der Bettdecke herumsuchte; ich dachte damals, sie tastet nach Halt in ihrer Not oder nach einer Hand, die ihre hält. Heute denke ich, dass die alte Frau möglicherweise etwas in ihrer imaginären Handtasche gesucht hat, weil das eine Gewohnheit ist, die Frauen früh annehmen und niemals ablegen, selbst im Angesicht des Todes nicht.
    Ein anderes Zeichen des Alters: Die Verschlüsse von Kaffeesahneportionen, Saftkartons und Weinflaschen, Pfefferminzdrageeschachteln, WC-Reinigern und Make-up-Spendern werden zunehmend rätselhafter. Verschlüsse sind meine Feinde, Verschlüsse und Gebrauchsanweisungen, ich verstehe immer weniger, wassie mir sagen wollen und warum sie mir ihre Dienste verweigern. Sie müssen nur den Nippel durch die Lasche ziehn,

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