Spaghetti in flagranti
waren, was unter den dicken cremefarbenen Damasttischdecken jedoch kaum auffiel. Die Stühle standen dieses Jahr noch enger als sonst, da mit Otto ein Gast mehr als üblich an der Tafel Platz finden musste, aber irgendwie würde es schon gehen.
»So, wenn alle den Bauch einziehen und beim Schneiden die Ellbogen bei sich behalten, passt es«, sagte ich und schob den letzten Stuhl an den Tisch.
Paola fing an zu kichern. »Da muss zio Gaetano aber ganz schön die Luft anhalten.«
»Den setzen wir am besten ans Kopfende direkt vor die Terrassentür. Dann muss niemand an ihm vorbei und er kann über den Balkon und durchs Schlafzimmer aufs Klo gehen. Hinter den anderen kommt er mit seiner Kugel ganz bestimmt nicht durch«, stimmte Laura ihr zu.
Paola schob das Becken nach vorn, blies die Wangen auf und ahmte den breitbeinigen, wiegenden Gang unseres Onkels perfekt nach.
Gerade als ich einen äußerst unchristlichen Gedanken in Worte fassen wollte, rief mamma mich aus der Küche auf den Pfad der Tugend zurück.
»Angela«, tönte ihre nicht zu überhörende Stimme zu uns herüber, »es ist gleich Viertel nach zehn. Schalt den Fernseher ein.«
Damit fanden alle weiteren Vorbereitungen sowohl in der Küche als auch im Wohnzimmer in Begleitung von Benedikt XVI . statt, der auf dem Petersplatz in Rom die Ostermesse hielt. Warum auch immer, die päpstliche Stereobeschallung führte dazu, dass ich sämtliche despektierlichen Bemerkungen in den nächsten zwei Stunden für mich behielt. Pünktlich zum Urbi et Orbi waren wir fertig, wie jedes Jahr. Und wie jedes Jahr versammelten wir uns alle in der Küche um den Tisch und lauschten mehr oder weniger aufmerksam den Worten des Kirchenoberhaupts, der alle Katholiken und damit auch uns mit eindrucksvollen Gesten segnete. Mamma war dieser Moment immer besonders wichtig, da wir am Ostersonntag wegen der Vorbereitungen nicht in die Kirche gehen konnten, und wir taten ihr den Gefallen.
In einer Viertelstunde sollten die ersten Gäste eintreffen, also sputete ich mich, damit ich das Bad vor den Zwillingen belegen konnte, um mich umzuziehen und zu schminken. Waren die beiden erst mal drin, verbarrikadierten sie sich bis in alle Ewigkeit, und der Rest der Familie konnte bei nonna oder den Nachbarn auf die Toilette gehen.
Ich war schon halb in dem kleinen Flur, der sich ans Wohnzimmer anschloss und zu den Schlafzimmern führte, als ich aufmerkte und stehen blieb.
»Euch allen ein gesegnetes und frohes Osterfest! Der Friede und die Freude des auferstandenen Herrn seien mit Euch«, sagte der Papst gerade auf Deutsch.
Sofort wurde mir ganz warm ums Herz, und ich musste an Beate und Isabelle denken, mit denen ich letztes Jahr in München Ostern gefeiert hatte. Die beiden hatten mit mir eine Ostereiersuche im Park veranstaltet, und ich war wie eine Fünfjährige durch die Büsche gestreift und hatte stolz mein mit echtem Moos ausgelegtes Körbchen mit all den Leckereien gefüllt.
Eigentlich hätte ich für Otto ein Osternest basteln sollen, statt ihm eines dieser Rieseneier zu kaufen, überlegte ich.
Da hörte ich, wie die Badezimmertür ins Schloss fiel. Mist, nun waren meine Schwestern doch schneller gewesen und ich durfte vor dem Minispiegel auf meiner Kommode mit Wimperntusche und Eyeliner hantieren. Wenn das mal nicht ins Auge ging …
Offenbar war mir mein Werk gelungen, denn als zio Gaetano mir kurz darauf gegenüberstand, sagte er: »He, hübsch siehst du aus heute, Signorina.« Und er war schließlich vom Fach.
Das ging mir runter wie Öl, zumal ich in Windeseile in das braune Jerseykleid mit den großen aufgedruckten Blumen geschlüpft war und mir die Haare eher notdürftig zu einem lockeren Dutt gesteckt hatte. Meine Locken machten mal wieder, was sie wollten, daher hatte ich gar nicht erst versucht, sie zu bändigen.
Um kurz vor eins fehlten nur noch Otto und Vale, die seit Jahren alle Festtage in unserem Haus verbrachte. Ich zückte schon mein telefonino , um zwei Vermisstenmeldungen rauszuschicken, da klingelte es. Sie waren zusammen gekommen und standen bereits oben vor der Wohnungstür. Vale pfiff wie ein altersschwacher Kühlschrank, weil Otto sie dazu überredet hatte, die Treppe zu nehmen.
»Dein Freund will mich umbringen«, sagte sie statt einer Begrüßung und schob sich an mir vorbei, um direkt in die Küche zu stürmen und meiner mamma um den Hals zu fallen.
Verwundert sah ich ihr nach, wobei mein Blick dem von zio Gaetano begegnete, der sichtlich
Weitere Kostenlose Bücher