Spaghetti in flagranti
freundlich hinzu: » Per favore .«
Mit einem entnervten Kopfschütteln in meine Richtung gab sie schließlich nach und händigte ihm die drei Cent aus, einzeln und mit Nachdruck. In ihrer Miene spiegelte sich Todesverachtung.
»Na also«, sagte mein Freund zufrieden und verstaute unsere Einkäufe seelenruhig in seinem mitgebrachten Rucksack, in dem man neben den paar Sachen locker drei Jahrespackungen Klopapier und eine komplette Palette Coladosen hätte unterbringen können. Mit einem ausgelassenen » Buon giorno allerseits!« schritt er durch die Schiebetür, die vor ihm aufglitt wie das geteilte Meer vor Moses.
Die Bemerkung des ungeduldigen Mannes hinter uns in der Schlange, der vermutlich noch nie im Leben so lange gebraucht hatte, um seine Einkäufe zu bezahlen, erreichte Otto nicht mehr. Ich vernahm dafür umso deutlicher sein gebrummtes »Diese schrecklichen Deutschen. Europa wird noch komplett den Bach runtergehen, wenn diese verbiesterten Geizkragen weiterhin das Sagen haben.«
Glücklicherweise konnte Otto den Satz nicht mehr hören, womöglich hätte er ihn verstanden und den Signore mitten im Supermarkt in eine politische Grundsatzdiskussion verwickelt. Bei seiner ausgeprägten bajuwarischen Debattierfreude hätte das leicht mehrere Stunden dauern können. Auch ich war – bella figura und so – nicht sonderlich auf eine Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit erpicht, obwohl wir in unserer Familie durchaus eine gesunde und lebendige Streitkultur pflegen.
Also beschränkte ich mich darauf, ihm den finstersten Blick zuzuwerfen, zu dem ich fähig war, und schlich mit puterrotem Kopf hinter meinem davonstürmenden Freund her. Dabei betete ich zu sämtlichen Heiligen, deren Namen mir einfallen wollten, dass in der Kassenschlange niemand gestanden hatte, den ich kannte. Dank meiner positiven Grundeinstellung ging ich jetzt mal davon aus, dass die Verkäuferin nach Feierabend Besseres zu tun haben würde, als meine Tante anzurufen und ihr brühwarm von dem Vorfall zu erzählen. Dann wäre es höchstens eine Frage von wenigen Minuten, bis auch meine Familie im Bilde war. Und darauf konnte ich echt verzichten.
Otto fand diesen Vorfall offensichtlich nicht weiter peinlich, und das unterschied ihn von mir. Ganz erheblich sogar. Gut möglich, dass man in Deutschland selbst im zwielichtigsten Laden – sofern es so etwas im Land der Verkehrserzieher, selbsternannten Laienpolizisten und investigativen Leserreporter überhaupt gibt – das Wechselgeld stets auf den Cent genau zurückbekommt. Wir in Italien dagegen sind da eben etwas großzügiger. Wenn der Rechnungsbetrag die ungerade Summe von 20,02 Euro ausmacht, dann verzichtet die Kassiererin darauf, zu warten, bis der Kunde die kupferfarbenen Münzen mühsam aus dem Portemonnaie oder der Hosentasche hervorgekramt hat. Sie schenkt sie ihm einfach. So etwas nennt man Effizienz. Time is money und so. Die Kasse stimmt am Abend übrigens trotzdem – zumindest ungefähr –, denn vom nächsten Kunden, der zum Beispiel nur 9,98 Euro zahlen muss, holt sie sich die paar Cent einfach wieder. Natürlich nur, wenn dieser Kunde kein hyperkorrekter, besserwisserischer Deutscher namens Otto Gruber ist. Allmählich traten auch jene Seiten an Otto zutage, die selbst durch die rosarote Brille, die noch immer mitten auf meiner Nase prangte, nicht ganz so gut aussahen.
Für eine Sekunde war ich geneigt, das Fremdschämen in Ärger übergehen zu lassen, doch dann sah ich in Ottos funkelnde grüne Augen, und meine Verliebtheit gewann sofort wieder die Überhand. Was scherte mich die tratschsüchtige Kassiererin? In Riccione gab es schließlich über siebzig Supermärkte, wir konnten jederzeit woanders einkaufen, und zur Not gab es immer noch das Internet. Ein Hoch auf die moderne Technik!
Auf dem Nachhauseweg war dann auch schon wieder alles in Ordnung, und spätestens als nonna Otto mit einem Wangenküsschen bedachte, nachdem er den Ricotta aus den Tiefen seines Rucksacks hervorgeholt hatte, war ich mit allen Kassiererinnen und kleinkrämerischen Bayern dieser Welt versöhnt.
»Du bist der Beste«, sagte sie und nickte mir zu. »Stimmt doch, bella ? Oder möchtest du mir da widersprechen?«
»Niemals«, sagte ich, ließ mich auf dem Klappsofa nieder, das meiner Oma als Schlafstatt diente, und sah den beiden dabei zu, wie sie in der Küche werkelten.
Nonnas Einzimmerapartment war spartanisch eingerichtet, aber sehr gemütlich. Die Möbel hatten alle schon
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