Spaghetti in flagranti
ganzes Stück nähergekommen und hatte das Gefühl, in ihm das passende Gegenstück gefunden zu haben.
Auch wenn wir nicht wussten, wie es nach dem Ende von Ottos Praktikum weiterging, bestand immerhin theoretisch die Möglichkeit, dass er in Italien blieb. Sicher musste er zwischendurch zurück, um seine Doktorarbeit abzugeben und die Prüfungen zu absolvieren, aber das Angebot seines Chefs, für einen der Zulieferer von Ferrari zu arbeiten, war nach wie vor auf dem Tisch. Den Glauben an meine Zukunft als Lehrerin in Cesena hatte ich ebenfalls noch nicht aufgegeben, auch wenn die endgültige Nachricht noch ausstand. Neulich hatte Otto sogar eine Andeutung gemacht, dass er sich vorstellen könne, für längere Zeit in Italien zu bleiben. Und das aus seinem Mund. Wie war das noch? Menschen ändern sich …
Mit Vale war es derzeit einfach nur schön, ich hatte meine alte Freundin tatsächlich zurückbekommen. Gianmarco schien indessen aufgegeben zu haben. Wir sahen uns zwar ab und zu, aber meist im Beisein von anderen. Er schien es mir nicht übelzunehmen, dass ich wieder mit Otto zusammen war, sondern trug seine Niederlage mit Fassung.
Erst gestern waren wir alle gemeinsam im Delphinarium gewesen und hatten uns die Show angesehen. Schon als kleines Kind hatten mich die wunderschönen Tiere fasziniert, und ich hatte babbo regelmäßig bekniet, dass er mit mir wieder und wieder hinging. Seit der damals fünfzehnjährige Pele mit seiner Riesenbrille auf der Nase und einer Plastikrose im Maul durchs Becken geschwommen war, um sich eine Braut auszusuchen, und vor mir haltgemacht hatte, war ich in den Delphin verliebt gewesen. Der Moderator der Show hatte mich zu sich gerufen, woraufhin mein Verehrer mit einem Satz aus dem Wasser auf eine Matte gesprungen war, um sich von mir streicheln zu lassen und mir die Blume zu überreichen. Stolz wie eine auserwählte Prinzessin war ich zu babbo zurückgeschwebt, unter dem Applaus der Zuschauermenge. Ein Foto von der ungewöhnlichen Brautschau hing noch heute bei meinen Eltern im Wohnzimmer, und Otto hatte es schon mehrfach bestaunt.
Im frisch renovierten Delphinarium hatten wir nun gestern mit der ganzen Clique zugesehen, wie einer der Nachfolger meines Pele ein anderes fünfjähriges Mädchen zum glücklichsten Kind auf dieser Erde gemacht hatte. Die Show war bis auf einige Details noch genauso wie vor zwanzig Jahren, aber wir konnten uns alle nicht daran sattsehen.
Da ich Kopfschmerzen hatte, hatte ich mich gleich nach der Vorstellung verabschiedet, die schon um sechs Uhr begonnen hatte, um mich hinzulegen. Die anderen wollten noch irgendwo was trinken.
Eigentlich hatte ich mit Vale verabredet, heute zusammen mit ihr an den Strand zu gehen, aber sie hatte mir am Vormittag – ungewöhnlich früh für ihre Verhältnisse – per SMS abgesagt. Otto, inzwischen Mitglied bei dem Radsportverein in Cesenatico, war mit einigen anderen Sportfanatikern in der Gluthitze zu einer Fahrradtour aufgebrochen und würde erst am Abend zurückkommen. Da ich von den anderen Mädels aus unserer Clique niemanden erreicht hatte, war ich alleine baden gegangen. So konnte ich endlich mal wieder meinen MP3 -Player anwerfen und Vasco Rossi hören. Nach dem Frühstück packte ich also meine Sachen zusammen und machte mich auf den Weg zur spiaggia libera . Da Samstag war, hatte ich Mühe, ein freies Plätzchen zu ergattern, und quetschte mich notgedrungen zwischen zwei Großfamilien.
Ich war gerade mit einem Eis auf mein Handtuch zurückgekehrt und hatte mich auf den Bauch gelegt, ohne mich zu bekleckern, da klingelte mein telefonino . Es war Gianmarco.
Bitte nicht, dachte ich und ging trotzdem dran. Irgendwie hatte ich so eine Vorahnung, die sich bestätigte, als ich seine atemlose Stimme hörte.
»Angela«, sagte er. »Wir müssen uns sehen. Sofort. Es ist etwas Schreckliches passiert.«
»Wo bist du?«, fragte ich. »Hattest du einen Unfall?«
»Nein, nein, mit mir ist alles in Ordnung. Kannst du zu der Bar in der Viale D’Annunzio kommen? Jetzt gleich? Ich warte dort auf dich.« Damit hatte er aufgelegt.
Ratlos und auch ein bisschen besorgt, packte ich meine Sachen zusammen, und prompt tropfte Schokoladeneis auf die weiße Hose, die ich mit einer Hand anzuziehen versuchte. Verärgert machte ich mich auf den Weg in die Bar, doch beim Anblick von Gianmarcos entsetzter Miene, war alles vergessen.
»Endlich!«, rief er mir entgegen und machte ein paar Schritte auf mich zu. Dann dirigierte er
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