Spatz mit Familienanschluß
überlistet hatte.
9
Signore Giorgio war tatsächlich am Abend zur gesamten Familie Bergmann besonders freundlich und zuvorkommend. »Die Carabinieri sind in Alarmbereitschaft, die ganze Küste entlang, auf der einen Seite bis Venedig und nach Osten bis Triest«, meldete er Markus mit ernstem Gesicht.
Etwas später, als Renato an allen Tischen auf der Terrasse die Bestellungen entgegennahm, erkundigte er sich bei Markus auch nach Altamura, und ob er vielleicht wisse, was der gerne zu essen hätte.
Gerade als Markus überlegte, kam Lucas Altamura angeflogen, setzte sich auf die Stuhllehne und sagte, noch ein wenig außer Atem: »Ich habe auf einem Teller da vom Risi-Pisi gesehen. Reis und frische grüne Erbsen, davon hätte ich furchtbar gern eine Kostprobe.«
»Ist gut«, sagte Markus und wandte sich an Renato. »Lucas sagte mir eben, daß er sehr gerne etwas Risi-Pisi hätte.«
»Einen Löffel oder zwei?« fragte Renato dienstbeflissen.
»Er sagte zwei«, antwortete Markus, und Renato verschwand mit einer eleganten Verbeugung.
»Ein höflicher junger Mann«, lobte ihn Mutter. »Er ist sehr angenehm, er zeigt uns allen, daß er seinen Beruf mag und uns auch.«
»Ja«, sagte Vater einsilbig, denn er meinte, einen neuen Ton bei Renato herausgehört zu haben. Insgeheim fürchtete er, von Renato und Giorgio seines Sohnes wegen bedauert zu werden.
Da meldete sich Lucas zu Wort. »Du brauchst nicht zu glauben, daß Giorgio die Carabinieri wirklich angerufen hat. Nicht einmal die polizia comunale hat er benachrichtigt.«
»Warum nicht?« Markus war hochgefahren. Jeder konnte seine Frage hören. Vater warf Mutter einen Blick zu und die beiden Schwestern einander auch. Früher hätten sie losgekichert, heute konnte man tiefes Mitgefühl für den armen Bruder aus ihren Mienen lesen.
»Da fragst du noch?« sagte Lucas. »Giorgio wollte sich nicht blamieren. Er traut uns beiden nichts zu. Also müssen wir ihm beweisen, daß wir recht haben.«
»Heißt das, wir sollen das Auto stehlen lassen?« Markus überlegte, während die anderen wieder Blicke hin und her schickten. »He«, rief er dann, »ich hab’s. Ich rede mit der Besitzerin.«
Lucas winkte ab. »Die würde dir genausowenig glauben wie dein Vater und Giorgio. Nein, wir müssen uns selbst etwas einfallen lassen, um den Diebstahl zu verhindern. Wir haben beim Essen Zeit genug, um uns etwas auszudenken.«
Was sie sich schließlich ausdachten, führte dazu, daß Markus nach dem Essen verschwunden war. Die Eltern und auch die Schwestern hatten ihn noch zum Tisch der Familie Käringer hinübergehen sehen. Anne konnte nachher auch bestätigen, daß Markus wirres Zeug von einem Spatzen Lucas, zwei Ganoven und einem schnellen Auto erzählt habe, das in fünfzig Minuten Entfernung mitten in der Nacht umlackiert werden sollte. Er habe sie auch eingeladen, diese Schandtat an seiner Seite verhindern zu helfen, sie jedoch wollte nicht mitziehen, weil ihr Markus äußerst seltsam vorgekommen sei. Markus sei daraufhin zur Palme am Rand der Terrasse gegangen und habe sich dort offensichtlich mit einem Spatzen unterhalten. Kurz darauf sei er verschwunden gewesen.
Ernst wußte rein gar nichts zu sagen. Seine Mutter meinte, das beiderseitige gute Verhältnis habe sich leider schnell abgekühlt, und Ernst stecke nur noch mit dem einen Zwillingsmädchen zusammen, möglicherweise auch einmal mit diesem und das anderemal mit dem anderen, so genau wisse man das nicht, sie seien ja schwer zu unterscheiden.
Es wurde neun und zehn Uhr, und von Markus war noch immer keine Spur zu sehen. In dem Augenblick, als Herr Bergmann Giorgio rufen wollte, um sich Rat zu holen, klingelte das Telefon. Giorgio war am Apparat. Er bat Signor Bergmann, ins Büro zu kommen. Seine Stimme klang ernst.
»Was ist?« fragte Frau Bergmann ihren Mann besorgt. »Ich soll zu Giorgio ins Büro kommen.«
Für Frau Bergmann war klar, was dahinter steckte. Markus war — Spatz hin, Spatz her — entführt worden. »Ich komme mit«, sagte sie entschlossen.
»Wir wollen auch mit«, riefen die beiden Mädchen, die ihren Bruder plötzlich heiß und innig liebten.
»Nein«, sagten die Eltern entschieden. »Sollte etwas Schlimmes geschehen sein, erfahrt ihr es früh genug.« Giorgio bot dem Ehepaar sofort eine Sitzgelegenheit auf seiner Ledergarnitur an. »Ich muß Ihnen leider eine unangenehme Mitteilung machen«, sagte er dann, stellte sich hinter seinen Schreibtisch und stützte die Hände auf die polierte
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