Spatz mit Familienanschluß
Tischplatte.
»Sagen Sie’s schnell!« flehte Frau Bergmann. »Es handelt sich sicherlich um Markus.«
»Ja. Und wenn ich es schnell sagen soll: Die Polizei hat ihn festgenommen.«
»Die Polizei?« schrie Vater.
»Sie haben richtig gehört.«
»Ja, aber warum, frage ich nur?« überlegte der Vater. »Der Junge kann doch keiner Fliege etwas zuleide tun.«
»Um eine Fliege geht es auch nicht, Signore. Ihr Sohn wurde von unserer Polizei erwischt, als er die Reifenventile eines Sportwagens auf unserem Parkplatz aufschraubte, um die Luft aus den Reifen entweichen zu lassen.«
»Also, das war bestimmt nicht seine Idee«, behauptete Herr Bergmann. »Da steckt ein anderer dahinter.« Giorgio hob bedauernd die Schultern. »Er ist aber nun einmal erwischt worden. Wenn Sie wollen, bringe ich Sie zur Polizeistation.«
Herr und Frau Bergmann wollten. Frau Bergmann fürchtete, ihren Sohn als Häuflein Elend in Handschellen und tränendurchnäßt vorzufinden. Aber dem war nicht so. Markus war zwar sehr bleich, aber er schien gefaßt zu sein, wozu ein Glas Saft, das ihm die Polizisten hingestellt hatten, beigetragen haben mochte. »Giorgio!« riefen sie, als sie den Direktor vom Resi-dence sahen. »Giorgio, wir brauchen einen Dolmetscher. Er sagt immer nur >Spatz<, immer >der Spatz<. Was ist >Spatz«
Giorgio erklärte ihnen, was ein Spatz ist, wenn man die Sache italienisch betrachtete. Pàssero ist das.
Also gut, ein Spatz, ein passero, ein kleiner Vogel, der sich von den Touristen das Futter holt. Das kennt man. Wenn man im Garten eines Restaurants sitzt, kommen Spatzen angeflogen, um die Gäste anzubetteln, und zwar Touristen wie Einheimische. Aber kein Spatz hatte auch nur ein Wort mit ihnen gewechselt, geschweige denn sie auf eine bevorstehende Straftat aufmerksam gemacht. Mit keinem halben Wort.
»Bitte, sagen Sie dem Herrn Polizeikommandanten, daß unser Markus schon seit Beginn unseres Aufenthaltes hier mit diesem einen seltsamen Spatzen spricht. Nicht nur über beabsichtigte Autodiebstähle, nein, über alle möglichen Dinge.«
Giorgio erzählte das, aber der wachhabende Kommandant schüttelte heftig den Kopf. Also: Daß man mit Vögeln sprach, das wollte er noch hingehen lassen. Schließlich gab es sogar einen Heiligen, San Francesco nämlich, und der hatte den Vögeln sogar gepredigt. Aber daß die Vögel dem großen Heiligen von Assisi etwas erzählt hätten, das stand nirgends. Und schließlich, der Junge war doch wohl kein Heiliger!
»Dann sagen Sie, daß wir die Reifen auf unsere Kosten wieder aufpumpen lassen, wenn es sein muß, sofort. Aber man kann doch nicht einen kleinen Jungen, nur weil ihn ein Spatz gewarnt hat, einsperren. Mir hat Markus eine ziemlich genaue Personenbeschreibung der zwielichtigen Gesellen gegeben, ich würde gern wissen, ob er das auch hier getan hat.«
»Hat er nicht, Signore Bergmann, und nach der Spatzengeschichte hätte das auch keiner ernst genommen. Sie dürfen der hiesigen Polizei daraus keinen Vorwurf machen. Sie — und auch ich — , wir beide haben die Geschichte ja auch nicht geglaubt.«
Nun verhandelte Giorgio eine ganze Weile mit den Polizisten, er redete wie ein italienischer Strafverteidiger im Film. Wort- und gestenreich stellte er Markus als kleinen Heiligen hin und seine Eltern als beispielhafte Familie, die sehr kultiviert sei, weil sie Jahr für Jahr nach Italien komme, um Italiens Schönheit, seine Kultur, aber auch seine Menschen liebend zu bewundern. Jeder einzelne Italiener sei für sie ein Mensch von hohem Adel, was sein ganzes Personal beeiden könne. Signore Bergmann drücke seine Achtung unter anderem durch die Höhe seiner Trinkgelder aus.
Der Kommandant war am Ende fast zu Tränen gerührt, er lenkte ein, er wollte beweisen, daß nicht nur Italiens Menschen im allgemeinen, sondern auch Italiens Polizisten im besonderen großzügig seien.
Die Räder müßten sofort wieder unter der Aufsicht einer Polizeistreife von Guiseppe von der Garage Montana aufgepumpt werden. Markus und sein Vater mußten sich in den Streifenwagen der polizia comunale setzen. Frau Bergmann fuhr im Wagen Giorgios hinterdrein. Die Polizei suchte Guiseppe in verschiedenen Bars und Trattorias und wurde schließlich in der Trattoria da Cèsare fündig.
Guiseppe ließ sich sehr ungern von seinem Weinglas weglocken und noch weniger gern von seiner blonden Gesprächspartnerin, die ihm gerade Deutschunterricht erteilte. Als ihm der Fahrer des Streifenwagens hoch und heilig
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