Spaziergang im Regen
des Hügels, da gibt es überall Felsen, und ich glaube auch nicht, dass ich mich besonders freuen würde, wenn mich die Bäume da unten am Weiterfallen hindern!«
»Shara, Sie sind doch nicht allein. Vertrauen Sie mir. Nehmen Sie meine Hand, ich werde Sie schon nicht fallenlassen.« Sie streckte ihre Hand nach oben, aber Shara zögerte noch immer. »Ich passe schon auf dich auf, Liebes«, sagte Jessa nun mit ernster Stimme, weil sie spürte, dass Sharas Unbehagen nicht gespielt war.
Shara sah in Jessas Miene nur Aufrichtigkeit und Besänftigung. Wenn sie auch oft miteinander scherzten, wusste Jessa wohl diesmal, dass sie es ernst meinte. Sie ergriff die angebotene Hand und war überrascht von der Wärme, nicht von der Stärke.
Sie wandte den Blick nur lange genug von Jessa ab, um die Entfernung einschätzen zu können, und sprang dann. Sie beugte ihre Knie bei der Landung, wie sie es bei Jessa gesehen hatte, geriet aber auf ein paar kleinen, lockeren Steinchen ins Rutschen, und Jessa hielt sie fest, um sie am Fallen zu hindern, obwohl sie gar nicht in Gefahr war, den Pfad hinunterzustürzen.
Sie schaute Jessa dankbar an, überrascht, dass nur wenige Zentimeter ihre Gesichter trennten. »Danke«, flüsterte sie mit bebender Stimme. Ihre Augen wanderten über Jessas weiche Haut, die von der körperlichen Anstrengung leicht gerötet war, und verfingen sich in ihren warmen, braunen Augen, in deren Lidern winzige Regentropfen glitzerten.
»War mir ein Vergnügen.« Jessa war ihr so nah, dass Shara ihren Atem auf dem Gesicht spüren konnte.
Sharas Blick konzentrierte sich auf die Lippen, die die Worte so leise ausgesprochen hatten, und ein schwacher Laut entwich ihrer Kehle, weil sie einen kaum zu unterdrückenden Drang verspürte, ihre eigenen Lippen auf sie zu pressen. Sie drehte sich blindlings um und wäre gefallen, wenn Jessa sie nicht zurückgezogen hätte.
Sie wich Jessas Blick aus, konnte ihn aber auf ihrem Gesicht spüren. Sie hörte auch Jessas Atem – und ihren eigenen, und versuchte sich einzureden, dass es daran lag, dass sie fast gefallen wäre, aber das Pochen ihres Pulses sprach von etwas anderem. Was sie fühlte war kein Adrenalinstoß, sondern sexuelle Erregung.
Als die letzten Töne des Regentropfens ausklangen, war ihr wieder dieser Moment im Regen gegenwärtig, als sie sich ihrer eigenen körperlichen Reaktionen so bewusst gewesen war. Ohne sich dagegen wehren zu können bewegte sie sich auf die Frau zu, die dieses Klavierstück so erstklassig gespielt hatte.
»Es tut mir leid.« Jessas Stimme durchbrach die plötzliche Stille, doch Shara wunderte sich keinen Moment darüber, woher Jessa wusste, dass sie im Raum war. »Sie sind mein Gast, und ich hätte einfach darüber hinweggehen sollen.«
»Jessa, es gibt nichts, über das Sie hinweggehen müssten«, log sie verzweifelt; Jessa schaute sie noch immer nicht an, und ihr war zum Heulen zumute.
»Wenn Sie meinen«, entgegnete Jessa steif.
»Jessa, wenn Sie das weiterverfolgen, werde ich nicht mit Ihnen wegfahren können. Ist es das, was Sie wollen? Wenn das alles ist, dann sagen Sie es einfach.«
»Ich dachte, da gibt es überhaupt nichts, das ich weiterverfolgen könnte«, erwiderte Jessa sarkastisch. Sie drehte sich um, aber als sie den verlorenen, schmerzvollen Ausdruck auf Sharas Gesicht sah, erhellte sich ihre Miene. »Na gut, Shara, ich richte mich nach Ihnen. Aber da Chopin mich wahrscheinlich für den Rest meines Lebens an Sie erinnern wird, möchten Sie nicht was für mich spielen?«
»Was war das, was Sie vorhin gespielt haben?«
»Rachmaninoffs Variationen über ein Thema von Chopin.«
»Das war wunderschön.«
»Danke.« Jessa rutschte an ein Ende des Klavierstuhls, um Shara Platz zu machen. »Also, was spielen Sie für mich?«
»Eine Nocturne? Ich muss Sie aber warnen; ich habe das schon seit Jahren nicht mehr aus dem Gedächtnis gespielt, und auch da war ich nicht annähernd so gut wie Sie.«
»Dafür bin ich ja da. Um die Musik zu genießen, die Sie machen, und Ihnen mit Ihrer Technik zu helfen, wenn Sie meinen, dass es nötig ist.«
Aus irgendeinem Grund überlief Shara bei dieser Erklärung ein Schauer, bevor sie sich neben Jessa setzte, nah genug, dass sich ihre Oberschenkel berührten. Nach dem, was zwischen ihnen vorgefallen war, wusste sie, dass Jessa sie nicht dazu zwingen würde, sich mit dem auseinanderzusetzen, was auch immer das war, das sie zueinander hinzog. Also entspannte sie sich, genoss die Nähe zu
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