Spaziergang im Regen
erraten, sagte Shara nun: »Ich weiß, dass du dir wünschst, ich würde mich einfach wieder einkriegen, aber es gibt keinen Ausweg, oder? Es ist doch so, wie du gesagt hast: Je mehr ich mich vor ihnen verstecke, desto neugieriger scheinen sie zu werden. Aber ich habe keine Lust auf eine Konfrontation –«
»Liebes, es muss doch nicht zu einer Konfrontation kommen.«
»Muss es das nicht?« Shara sah gequält aus. Bevor Jessa antworten konnte schob sie nach: »Selbst wenn ich meine Karriere aufgäbe, würde mich das nur zur tragischen Figur machen, die nicht in dem Beruf arbeiten kann beziehungsweise will, den sie erlernt hat und in dem sie endlich Anerkennung bekommt. Das würde alles nur noch schlimmer machen!«
Jessa stand unter Schock. Es wäre ihr nicht im Traum eingefallen, dass Shara in Erwägung ziehen könnte, ihren Beruf aufzugeben. Shara musste doch Erfahrung mit den Klatschblättern haben, schließlich war das Ende ihrer Beziehung mit Derek öffentlich breitgetreten worden.
»Oh Liebes, komm her.« Sie zog Shara an sich und sank mit ihr zurück ins Sofa, so dass sie beide fast lagen und sich in den Armen halten konnten. »Shara, du solltest nicht einmal daran denken aufzugeben. Ich weiß, dass du oft darüber redest, dass dir viele Rollen angeboten werden, die nicht sehr bedeutsam sind, aber mit dem Geld, das du damit verdienst, finanzierst du doch solche Dinge wie den Dokumentarfilm über Irland, bei dem du auch den Kommentar gesprochen hast. Und dann sind da doch auch noch all die wohltätigen Zwecke –«
»Ich brauche kaum Geld für mich«, fuhr Shara fort, als spräche sie mit sich selbst. »Ich führe einen einfachen Lebenswandel. Die einzigen, denen etwas abgehen würde, sind die Einrichtungen, denen ich Spenden zukommen lasse. Aber es wäre so viel einfacher, einfach aufzugeben –«
»Nein«, sagte Jessa bestimmt. »Das darfst du nicht mal denken. Keiner dieser rücksichtslosen Schreiberlinge ist das wert.« Sie drehte Sharas Kopf so, dass sie ihr in die Augen schauen konnte.
Shara starrte sie an und fragte sich, wie es wohl wäre, sich seiner Sache so sicher zu sein, wie Jessa es immer zu sein schein. Während der Dreharbeiten zu Maestra war ihr deutlich geworden, wie sehr Jessa unter der rachsüchtigen Aufmerksamkeit der Presse gelitten hatte.
Jessa hatte damals mit stoischer Ruhe die Beleidigungen und die Säcke voller hasserfüllter Briefe ertragen. Sie hatte gelernt, in Interviews hinterhältige Fragen zu erkennen, und sie hatte mit nichts anderem als einem finsteren Blick geantwortet, als sie während einer von einer religiösen Gruppe organisierten Demonstration angespuckt worden war. Obwohl sie nur vorgegeben hatte Jessa zu sein und sich nach Drehschluss die Freiheit nehmen konnte, sich von all dem loszumachen, war es schon fast zuviel für sie gewesen.
Sie liebte Jessa und je mehr sie von ihr wusste, desto größer war ihre Bewunderung für sie. Aber sie selbst war nicht wie Jessa, und sie wusste, dass sie weder die gleiche Nachsichtigkeit noch die Würde im Umgang mit der Presse aufbringen konnte.
Sie hatte von vornherein beschlossen, die Kämpfe mit der Presse nicht vor Drehbeginn mit Jessa zu besprechen, weil sie die Szenen mit der an Panik grenzenden Unmittelbarkeit spielen wollte, die Jessa damals empfunden haben musste. Wie ironisch, dass sie nun mit ihrem eigenen Coming-Out konfrontiert war und dabei fast wieder dieselbe Panik verspürte.
Shara war nicht in der Lage, all den Zweifeln und ihren inneren Kämpfen Ausdruck zu geben, die durch ihren Kopf wirbelten und ihr Magenschmerzen bereiteten, deshalb tat sie das einzige, was sie alles Schlechte in der Welt vergessen ließ: Sie legte eine Hand in Jessas Nacken und streichelte die weichen, lockigen Haare dort, und dann brachte sie ihre Lippen an Jessas Mund und küsste sie zärtlich. Der Kuss dauerte mehrere Minuten, in denen sie beide auf der Couch herumrutschten, um mehr Körperkontakt miteinander zu bekommen.
Nach einer Weile schob Shara Jessa etwas von sich weg und sah die Überraschung und Erregung in ihren Augen. »Liebe mich«, bat sie, und sie wusste, dass Jessa ihr diese Bitte nicht abschlagen konnte, auch wenn sie den Grund für ihre Dringlichkeit nicht verstand. Shara schickte ein stilles Dankgebet gen Himmel, dass ihre Gefühle für Jessa auf Gegenliebe stießen, weil sie noch nie in ihrem Leben etwas oder jemanden so sehr gebraucht hatte.
Kapitel 30
T essa war von dem Kuss überrumpelt. Gerade noch
Weitere Kostenlose Bücher