Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spaziergang im Regen

Spaziergang im Regen

Titel: Spaziergang im Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Barnard
Vom Netzwerk:
in Sharas Bauch zu. »Du bist immer hungrig«, sagte sie mit einem Lächeln in der Stimme.
    »Ich habe einen aktiven Lebensstil«, verteidigte sich Shara.
    Jessa lächelte. »Ja, Jogging auf dem Heimtrainer, Gewichte stemmen und Sex. Das Maximum an Bewegung, ohne das Haus verlassen zu müssen.«
    »Als ob du dich beschweren würdest«, antwortete Shara mit einem leichten Grinsen.
    »Ich kann gar nicht abwarten, dich in meine Lieblingsrestaurants in Buenos Aires auszuführen. Lucia und ich kennen einen Typen namens Fernando, der jetzt dort eine Bar hat, in der er Tangoabende für Schwule und Lesben veranstaltet. Ich freue mich schon darauf, ihn wiederzusehen, und ich bin mir sicher, dass du ihm gefallen wirst.«
    Mit einem Mal wurde Shara ernst. »Jessa, ich kann nicht mit dir nach Argentinien gehen.«
    Jessa hob den Kopf und starrte sie nur mehrere Sekunden lang verständnislos an. »Was?«
    »Das ist alles zuviel. Die werden uns bestimmt am Flughafen auflauern, und dann, wenn ich nicht mehr im Land bin, werden sie über meine Familie herfallen, vor allem über meinen Vater. Sie rufen ihn ja noch immer wegen Derek an, und er kann sich nicht aus dem Telefonbuch austragen, weil er Pfarrer ist.«
    »Was willst du damit sagen? Dass du dein Leben nicht so leben willst, wie du’s gern tätest, um deinem Vater keine Unannehmlichkeiten zu bescheren? Oder geht es um deine eigene Bequemlichkeit? Ich verstehe ja, dass du nicht romantisch mit einer verfluchten Lesbe in Verbindung gebracht werden willst, aber dann solltest du wenigstens so viel Mumm haben, das zuzugeben, statt deinen Vater vorzuschieben – schließlich hast du sogar öffentlich bereits erklärt, dass ihr beiden kaum miteinander redet.«
    »Falls es dir entgangen sein sollte, ich bin selbst eine verfluchte Lesbe, wie du es so charmant ausgedrückt hast, oder zählt es nicht, wenn ich dir sage, dass ich dich liebe, oder wenn ich Sex mit dir habe?« fragte Shara in verletztem und verärgertem Ton.
    »Das ist ja einfach zu bewerkstelligen, hinter verschlossenen Türen, oder? Aber du willst, dass die Öffentlichkeit dir auch weiterhin deine heterosexuellen Vorrechte gewährt –«
    »Darum geht es doch gar nicht! Es geht darum, dass ich mein Privatleben privat halten möchte.«
    Jessa stand auf und begann sich anzuziehen. »Hm. Wo habe ich denn das schon mal gehört? Oh, stimmt. Von Stephanie. Sechs lange Jahre waren wir ›privat‹ und ›diskret‹, weil ich ihr glaubte, als sie meinte, dass das das Richtige sei. Tja, du hast das ja gerade vor der Kamera stellvertretend für mich noch einmal durchexerziert, da muss ich dir ja nicht erzählen, was dabei herauskam.«
    Sie war nun fertig angezogen, aber ihre Haare standen noch nach allen Seiten ab. Sie schnappte sich eine Jacke, ihre Tasche und die Schlüssel aus der Schale, und dann stürmte sie in Richtung Tür.
    »Wo willst du hin?«
    »Ich muss nachdenken, und das kann ich hier nicht.«

Kapitel 31
    T essa ging wie blind die Clerkenwell Road hinunter, bog rechts ab und steuerte auf St. Pancras zu. Dann nahm sie eine der krummen Straßen, die nach rechts hoch in den Stadtteil Angel führten. Ein seltsames Gemisch aus kleinen Läden, Sozialwohnungen und für den Süden von Islington typischen Luxuslofts in umgebauten Lagerhäusern säumte die Straßen, aber sie nahm nur die Bilder wahr, die vor ihrem geistigen Auge auftauchten. Bilder, die den Schmerz und die Wut mit sich brachten, die sie längst vergessen geglaubt hatte.
    Sie und Stephanie lernten sich nach einem Konzert in der Royal Festival Hall kennen. Jessa spielte die Zweite Geige beim Londoner Symphonieorchester und hatte eine Sondererlaubnis erhalten, als Solistin bei einer Aufführung eines Jugendorchesters aufzutreten. Stephanie war eine mittelmäßige Cellistin, die von ihren Eltern zu diesem Konzert geschleppt worden war, weil sie sich erhofften, dass es sie dazu anregen würde, mehr zu üben. Das einzige, was Stephanie zu irgendetwas anregte, war der erste flüchtige Blick, den sie auf Jessa warf. Und das regte sie zu etwas völlig anderem an, als Cello zu üben.
    Jessa hatte gerade zwei Jahre des Umbruchs hinter sich. Mit sechzehn hatte sie die Vertretung für die Zweite Geige beim LSO übernommen und kurz darauf Daphne kennengelernt. Daphne war damals fünfundzwanzig und umwerfend. Sie war die Tochter eines asiatischen Vaters und einer irisch-amerikanischen Mutter, und sie arbeitete seit ihrem vierzehnten Lebensjahr als Fotomodell. Sie war die

Weitere Kostenlose Bücher