Speechless (German Edition)
drohte, wenn er nichts ‚sagen’ konnte. Eigentlich hatte Eneas immer einen großen Mitteilungsdrang gehabt, solange er nicht gerade gegessen oder gezockt hatte.
Und wenn er ehrlich sein sollte – ja, dann vermisste er es.
Cassiel wusste, dass Eneas hier war. In der Stadt war. Und er wollte mit ihm Zeit verbringen, aber dessen abwehrende Haltung hatte ihn irgendwie verunsichert.
Nun wusste er nicht mehr, ob er in irgendeiner Art und Weise einen Fehler machen könnte…
Er wollte nicht Schuld daran tragen, wenn Raven Eneas irgendwann erneut aus der Badewanne fischen müsste…
Den Anblick würde er niemals vergessen! Niemals! Manchmal verfolgte es ihn sogar bis in die Träume hinein.
Es war einfach diese unbändige Angst, Eneas zu verlieren…
So in Gedanken versunken, bemerkte er erst spät, dass Claire neben ihn stand. Er registrierte sie erst, nachdem sie seine Tastatur weg schob, die Kaffeetasse beiseite hob und sich auf die Tischplatte setzte.
„Na, in welchen Gedanken sind wir denn versunken?“, stellte sie die Frage und erst der Klang ihrer glockenklaren Stimme holte ihn in die Gegenwart zurück.
Cassiel sah sie an, als sie ihren Fuß auf die Stuhllehne stellte und ihn samt Bürostuhl etwas nach hinten drückte. „Ich höre?“
„An Eneas. Ich mache mir Sorgen um ihn, Claire“, erklärte er ihr und wandte den Blick von ihrem hübschen Gesicht ab.
Sie waren beide befreundet, aber viel miteinander geredet hatten sie nie. Es war irgendwie ein wenig schwierig zwischen ihnen gewesen. Nur wie, das konnte er nicht beschreiben. Es war einfach so zwischen ihnen. Und jetzt?
Jetzt auf einmal kommt Claire aus ihrem Büro zu ihm, sprach mit ihm und hatte nicht nur einen gar stichelnden sarkastischen Blick für ihn über.
Es überraschte ihn irgendwie…
„Weißt du, was ich langsam glaube, mein Guter?“, fragte sie ihn und zwang ihn somit, sie wieder anzusehen. Allein diese Fragestellung verlangte seine komplette Aufmerksamkeit.
„Nein, was denn?“, wollte er dann wissen.
„Er ist dir wichtig. Das ist mir klar. Aber ich glaube, er wird dir zu wichtig, Cas“, stellte sie dann klar und zuckte angedeutet die Schultern, ehe ihre Hände über ihre Oberschenkel rieben, ehe sie ihre Hände auf ihre Knie legte. Sich etwas vorlehnend, trafen sich ihre Blicke sofort und Cassiel war bewegt, sich wieder abzuwenden. Doch wagte er das nicht.
„Habe ich Recht? Du machst kaum etwas freiwillig, außer schlafen und lesen. Du hast für ihn Gebärdensprache gelernt – sogar die amerikanische Version des Ganzen, weil er die englische Art nicht versteht“, fasste Claire zusammen.
„Ich will dir ja auch keinen Vorwurf machen oder so etwas. Er ist ein sehr hübscher junger Mann. Sehr intelligent dazu und er ist bisexuell. Ich habe nichts gegen solche Leute, viel eher unterstütze ich es sogar, dass man zur Liebe und zu seinen eigenen Präferenzen stehen kann und es auch durchaus soll. Aber ist dir bewusst, wo du stehst?“
Cassiel begann, nervös seine Hände zu kneten. Was sollte er jetzt antworten?
Sie hatte Recht. Nie hatte er freiwillig etwas gemacht, aber ihm wurde bewusst, dass es unmöglich war, zu kommunizieren, wenn immer ein Stift und ein Blatt da sein mussten.
Er war nicht perfekt, aber er verstand es inzwischen bruchstückhaft. Stolz war er darauf auf jeden Fall, aber ob er dieses Können nun weiterhin brauchen würde, wäre eine andere Frage.
Denn wenn er eines wusste, dann war es der Umstand, dass er nichts von Eneas wollte.
Zumindest redete er sich das ein.
„Wovor hast du Angst, Cas?“, bohrte sie weiter, als er nicht antwortete.
Ja, wovor hatte er Angst. Hatte er überhaupt Angst vor irgendwas?
„Jeder Satz, jede Bewegung… Alles kann von ihm falsch interpretiert werden“, begann er dann einfach, ohne seine Gedanken in eine richtige Ordnung gebracht hatte. „Du brauchst ihn nur anders anzusehen und schon zieht er Schlüsse, dass du schlecht drauf sein könntest oder dass du irgendwas hast. Er ist ein unglaublich einfühlsamer und empfindlicher Mensch, der schon viel hat durchmachen müssen. Ich habe einfach Angst, zu versagen…“
„Versagen? Wobei?“
„Ihn zu beschützen… Ich hab ihn … mit Raven ins Krankenhaus bringen müssen. Ich habe jede Narbe auf seinen Armen gesehen. Ich habe die kaputten Finger beobachtete, wenn er am Computer saß und gearbeitet hatte. Der ganze Mann ist ein Wrack und ich bin nicht dafür gemacht, mit jemanden wie ihm zu leben…“,
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