SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit
ein Bild des Königs, der ihm vor einigen Jahren wegen seiner Verdienste um die Erforschung des Glücks den Ehrentitel des Dasho verliehen hat, so etwas Ãhnliches wie einen Adelstitel. Ura trägt einen Gho und eine Brille mit einem dünnen schwarzen Rand.
Wie erklärt er sich das Wunder, dass die Bhutaner scheinbar trotz Armut relativ glücklich sind?
»Es gibt andere soziale, wirtschaftliche, ökologische und kulturelle Aspekte, die den Mangel an Geld wettmachen. Das ist das wichtigste Ergebnis unserer Forschungen.« Wenn andere Gesellschaftsstrukturen funktionierten, sei Geld nicht so wichtig. Klar! Für die Grundvoraussetzungen wie Nahrung, Wohnraum, Kleidung, Bildung und Gesundheit müsse gesorgt sein. Keine Frage. Aber ob man sich diese Dinge leisten kann oder nicht, komme darauf an, wie die Gesellschaft organisiert sei. »In unserem Land sind Gesundheit und Bildung zum Beispiel kostenlos, weil unsere Bürger das so wünschen. Sie wollen, dass ihre Steuern dafür verwendet werden, und daher gibt Bhutan ein Viertel der Einkünfte dafür aus.«
Und auch die Lebensumstände in Bhutan trügen sicher dazu bei, dass die Menschen relativ zufrieden seien. »Die meisten Menschen leben hier noch auf dem Land, nah an der Natur, innerhalb einer Dorfgemeinschaft, die Leute haben viel Zeit für sich«, erklärt Ura. Die GroÃfamilie sei noch relativ intakt, sodass man sich auch keine Gedanken darüber machen müsse, wie es einem im Alter ergehen wird. Eine wichtige Rolle spiele sicher auch die Spiritualität. Die sei sehr stark. Das unterscheide Bhutan von anderen Ländern. Vielleicht seien die Menschen deswegen relativ zufrieden.
Bruttonationalglück sei ein Wortspiel und ein Gegenentwurf zum Bruttosozialprodukt, fährt der Dasho fort und kommt mir dabei vor wie eine Mischung aus buddhistischem Mönch und britischem Politikprofessor. Wir blicken doch auf ein Jahrhundert zurück, sagt er, in dem Wachstum und Bruttosozialprodukt ein Fetisch gewesen seien, ein Jahrhundert des Neoliberalismus, des freien Marktes, der Globalisierung, der Verstädterung, der Umweltverschmutzung und der Kriege.
Die Idee des Bruttonationalglücks spiele im Namen zwar auf den Begriff »Bruttosozialprodukt« an, sei aber ein Gegenkonzept dazu. »Vielleicht ein Mittelweg zwischen Kapitalismus und Kommunismus, ein Mittelweg, bei dem es eben nicht nur um materielle Dinge wie einen hohen Lebensstandard und Wachstum geht, sondern auch um nichtmaterielle und soziale Werte wie Beziehungen, Familie, Vertrauen, gegenseitige Unterstützung.«
Jeder wisse doch inzwischen, dass das Bruttosozialprodukt nichts über das Wohlbefinden oder die Lebensqualität der Menschen in einem Land aussage. Im Gegenteil: Das Bruttosozialprodukt sei ein extrem irreführendes, ja, perverses MaÃ. Denn Wirtschaft könne und würde ja auch durchaus auf schmutzige Weise wachsen, indem Menschen und Umwelt ausgebeutet werden. Das Bruttosozialprodukt steige zum Beispiel, wenn für die Produktion von Gütern Wälder abgeholzt und die Umwelt verseucht würde, nicht aber, wenn die Umwelt geschützt und die Ressourcen gespart würden.
»Ein Beispiel: Wenn die Bewohner eines Dorfes Wasser aus einer nahe gelegenen Quelle trinken, steigt das Bruttosozialprodukt nicht, wohl aber, wenn die Quelle verseucht wird und die Dorfbevölkerung jetzt Wasser aus Flaschen kaufen muss. Dann steigt es. Das Bruttosozialprodukt misst jedoch nicht, wie das Wirtschaftswachstum zustande kommt. Umweltverschmutzung trägt also zum Bruttosozialprodukt bei, Autounfälle und Staus auch. Jede Art von Freizeit, in der Menschen nicht zur Produktion oder zum Konsum beitragen, ist hingegen eine Wachstumsbremse. Oder ein noch extremeres Beispiel. Eine selbstgenügsame Person, die Monate nur in Bhutan meditiert, keine Möbel hat, kaum etwas besitzt und einen sehr geringen ökologischen FuÃabdruck hinterlässt, verhält sich vorbildlich, was die Zukunft der Erde angeht, nicht aber, was das Bruttosozialprodukt betrifft. Denn sie produziert und konsumiert ja nichts. Jeder weià also, dass das Bruttosozialprodukt ein irreführendes Maà ist, das Problem ist nur, dass wir uns alle die letzten fünfzig Jahre voll und ganz an diesem Maà orientiert haben. Deswegen ist es jetzt so schwierig zuzugeben, dass es falsch war, und davon loszukommen.«
Mein Blick wandert im Raum umher und
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