Speichelfaeden in der Buttermilch
Meister in andere kostbare Sprachen bereitet mir mehr und mehr Freuden. Urs Widmers Gesamtausgabe in der Sprache der Hopi-Indianer ist in hoffnungsfrohem Werden und baldigem kräftigen Sein. Erlaube mir, lieber Urs, die ein oder andere kleine Verbesserung im Original. Spät übt sich, wer ein Meister bleiben will.
Seit ich mit Grissemann in Zürich in einem Doppelzimmer bin, habe ich die Angst vor Hölle und Fegefeuer verloren. Während Grissemann schnarcht, muss ich ununterbrochen in die angsterfüllten, weit aufgerissenen Augen der drei Schweizer Transsexuellen blicken, die Grissemann am Transenstrich gekauft hat. Die drei sind etwa 70 und wimmern leise. Sie haben berechtigte Sorge, dass Grissemann wieder explodiert. Neben dem Bett stehen drei riesige Fässer mit Sauerkraut, in denen der Zürcher Bürgermeister und seine beiden Söhne stecken, alle drei narkotisiert. Was passiert da, liebes Tagebuch? Und was soll das vierte Fass im Badezimmer? Wen steckt er da hinein, die drei greisen Transsexuellen oder gar mich? Der von mir bezahlte Aufenthalt in der Klinik hat offensichtlich nichts gebracht. Im Gegenteil, wenn nun der liebe Magister Sprüngli vom Internationalen Roten Kreuz plötzlich vor der Tür stünde, wie erklärte ich ihm all das? Mir bliebe wohl nichts Anderes übrig, als mich selbst zu richten in jenem Augenblick. Gestern noch dieser prachtvolle Abend, erfüllt von meinem Klarinettenspiel, sah ich da Tränen der Freude in Sprünglis Augen? Es tat so wohl, als der letzte Ton verklungen war, den Beifallssturm zu hören, bis in den frühen Morgen, es war der längste Applaus, den die Zürcher Oper je vernahm. Und die herrlichen Gespräche im Wintergarten mit den alten Freunden der Unesco , Tränkl, Tombrollo, Karensky-Wolkenstein, und der liebe alte Doktor N'dongo. Der Höhepunkt des herrlichen Abends sollte das Geschenk des lieben Sprünglis sein: meine Partitur in Marzipan auf eine große Torte gezaubert von einem Konditormeister, dem lieben Schwingli. Gerade als ich die Torte anschneiden wollte, umgeben von lieben und teuren Gesichtern, gab es ein lautes Klirren, und Grissemann stürzte durch das Glasdach direkt kopfüber in meine Torte. Liebes Tagebuch, wie schmerzt mich das. Wie tief ist bestimmter Menschen Abgrund? Wieviel Ertragen kann der Mensch vertragen – wisst ihr es Sterne, oder du, Mond, schönste Sichel am Firmament? Ruhe, dich zu finden, wird mir langsam viel zu laut.
Amerika
Las Vegas, 5.8.97
Stermann nervt mich mit seinen sexuellen Vorlieben. Er ist ständig auf der Suche nach Frauen, die aussehen wie Max Schautzer, also Halbglatze, Hut und keine Ausstrahlung; und das allerschlimmste: er findet ständig welche. Ich selbst widme mich meinen wissenschaftlichen Schriften, gehe viel ins Theater und halte meine Vorträge nach Plan.
Grissemann liest ständig Bravo und macht schweinische Witze auf Kosten der kolumbianischen Empfangsdamen. Mir ist das peinlich, ich muss mich ständig rechtfertigen. Ich selbst habe endlich wieder Zeit, Klavier zu spielen und ein wenig zu komponieren. Anregender Briefwechsel mit Václav Havel und Karlheinz Böhm.
Los Angeles, 6.8.97
Stermann ist so beschämend provinziell. Er hat sich eine Trachtenlederhose angezogen, einem meiner amerikanischen Gelehrtenfreunde Bier ins Gesicht geschüttet und meiner bezaubernden Bekannten Adele, die hier in Amerika zurzeit große Ballett-Erfolge feiert, laut ins Gesicht gerülpst! Alle sind angewidert von ihm, ich halt das nicht mehr aus! Ich selbst redigiere zurzeit einen Fachartikel über Kirchenarchitektur in Neu-Mexiko und halte mich durch die Lektüre neuerer französischer Philosophie geistig fit.
Ich glaub es nicht. Grissemann hat sich auf seine Wampe ein Bierglas tätowieren lassen, das er grölend jedem zeigt. Musste die Probe mit dem New Artist Orchestra Los Angeles abbrechen, weil Grissemann besoffen durchs Glasdach fiel und neben der Harfe besinnungslos liegenblieb. Irgendwann kann ich nicht mehr. Ich selbst muss noch ein Bild für die morgige Ausstellung meines Gesamtwerks in Öl malen; Ich freue mich sehr darauf! Ich freue mich auch, dass mein Regenwald-Projekt mit den Erlösen der Ausstellung finanziert werden kann.
Los Angeles, 7.8.97
Es ist nicht zu fassen. Musste Stermann aus dem Gefängnis freikaufen! Er ist unter Drogeneinfluss nackt auf einem Schwein über den Sunset-Boulevard geritten. Beim Abendessen im Mondrian mit den Lektoren meines neuen Lyrikbandes stürzte er plötzlich schwitzend, dampfend
Weitere Kostenlose Bücher