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Speichelfaeden in der Buttermilch

Speichelfaeden in der Buttermilch

Titel: Speichelfaeden in der Buttermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann , Christoph Grissemann
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fürchterliche Grölen von Grissemann und seinen neuen Rockerfreunden. Grissemann trug diesen jämmerlichen Wikingerhelm und schrie: »Nackte Weiber, nackte Weiber ham die allergeilsten Leiber!« Liebes Tagebuch, ich errötete so, dass Autos vor mir stehenblieben! Dann begannen Grissemann und seine neuen Rockerfreunde auf mein Rednerpult zu – Entschuldigung – zu urinieren! Meine armen Freunde von der UNICEF wurden über und über mit Bier beschüttet. Grissemann sitzt nun in Untersuchungshaft und schläft seinen Rausch aus. Ich muss ihn wahrscheinlich in den nächsten Tagen wohl oder übel abholen. Ich selbst stehe kurz vor der Vollendung meines Oratoriums »In horto gaudeamus«. Das Lateinische will mir schon recht flüssig aufs ewig geduldige Papier. Arte, Arte, warte!
    Berlin, geliebtes Hotel Taunus, 5.1.98
    Ich bin fertig mit diesem Irren, endgültig fertig! Ich weiß, dass es Stermann sehr schwerfällt, mit dem vermeintlich schwachen Geschlecht in Kontakt zu treten, aber dass er zusammen mit zwei anderen geistig Verwirrten, die von ihm offensichtlich bezahlt wurden, in ein Frauengefängnis einbricht, weil – wie er es sagte – »die Puppen dort wenigstens nicht weglaufen können«, das ist die Höhe und gleichsam der Tiefpunkt. Die Frauen verbarrikadierten sich im Hochsicherheitstrakt vor ihm. Er und die anderen beiden Kerle hockten bei der Festnahme nackt vor dem Hochsicherheitstrakt und verspeisten mitgebrachte Tauben und Kröten. Es war so abstoßend. Ich selbst bin glücklich über den Gewinn des Prix Nostalgia für mein Nachschlagewerk »Traditionelle flämische Lyrik neu interpretiert«. Außerdem gibt mir der Schein der Kerze Kraft und Wärme für meinen kritischen Essay über Hegel. Oh, wieviel Ruhe braucht ein wacher Geist?
    Endgültig alles aus, endgültig alles vorbei. Mir zittert der Federkiel bei der Niederschrift dieser Zeilen. Der liebe Alexander, bei dem ich täglich nicht nur Tinte, Feder und Schnupftabak erstehe, sondern den ich auch als gelehrigen Schüler in mein großes Herz geschlossen habe, ich gab ihm Kraft und Mut für seine erste öffentliche Lesung in einem Kulturhaus. Ich habe alles in die Wege geleitet und hielt die Begrüßungsrede, in der ich launig, aber bestimmt Alexanders Talent hervorhob, trotz aller jugendlichen Unreife dann und wann. Alexander bedeutete dieser Abend so viel! Um so härter traf ihn, dass Grissemann zu Beginn seiner Lesung volltrunken durchs Glasdach fiel, direkt auf Alexanders Großmutter, die Grissemann unter sich begrub. Als sich die alte Dame zu Recht beschwerte, stopfte Grissemann ihr mit Alexanders Texten das – wie er es nannte – »Maul«; es war so widerlich und abstoßend! Ich selbst finde kaum die nötige Ruhe, um der Querflöte zu dienen, doch, liebes Instrument, ich werde in mich hineinhorchen, auf der Suche nach der echten Stille!

Zürich
    Zürich, Hotel Scheuble, 13.3.98
    Ich muss leise schreiben, haben aus Versehen ein Doppelzimmer gebucht, Stermann sitzt neben mir und pierct sich gerade seine Muttermale, schaut sich grunzend einen widerwärtigen Gewaltporno an und hat mir Prügel angedroht, falls ich auch nur ein Mucks von mir gebe. Unnötig zu erwähnen, dass er mir die Hände an den Heizungskörper gefesselt und mir eine Melone in den Mund gesteckt hat. Gott sei Dank, liebes Tagebuch, habe ich einst in Japan die Kunst des Fußschreibens gelernt. Ich habe die heutigen Ereignisse noch nicht wirklich verarbeiten können. Stermann ist ja überzeugter Atomkraftbefürworter der ersten Stunde. Er hat heute, angeblich bezahlt von der französischen Atomlobby, in der Altstadt Atommüll gegessen. Vier kleine Fässer. Anschließend ließ er sich von seinem besten Zuhälterfreund, Blut-Bruno, in einer gepanzerten Limousine ins Schlachthaus fahren, um eine alte Wette einzulösen. Er brach innerhalb von 2.30 Minuten 80 Stieren das Genick. Ich empfinde gar nichts mehr, nicht einmal mehr Ekel. Sein ganzer Körper ist voll getrocknetem Stierblut. Die ganze Zeit über brabbelt er ein und denselben Satz immer wieder vor sich hin: »Heute nur die Stiere, morgen alle Tiere!« Ich selbst hätte wohl nie meine mir so »Heilige Johanna der Schlachthöfe« am Zürcher Neumarkttheater so intensiv inszenieren können, hätte ich bereits gewusst, was Stermann verbrach. Gestern noch habe ich ergriffen die goldene Dürrenmatt Feder entgegennehmen dürfen, für meine Übersetzung der frühen Max Frisch Prosa ins Rätoromanische. Das Übertragen Schweizer

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