Speichelfaeden in der Buttermilch
kreidebleich unter der Bank hervor. Mit einem Hammer schlägt der Richter aufs Pult, um den Tumult zu beenden. [klopf, klopf, klopf]
»Ich verurteile Doktor Tobias Schädel zum Tode.«
So kehrt im Wald wieder Ruhe ein. Politisch wie gesellschaftlich, und für die Försterin auch sexuell. Wie oft Fräulein Dostal und Herr Dostal in den nächsten Jahren sexuell mit einander verkehren werden, weiß nicht einmal der Dunkelzifferapparat. Und auch nicht die Eule, die stolz auf ihrem Baum sitzt und kräftig die »Internationale« bläst.
KLEINE PROSA
Kurz und gut
Wie Nacht und Tag
Die Dunkelheit legte sich derart inzestuös über die Stadt, wie ein widerlich Betrunkener über seinen Bruder. Die Nacht brach ein, wie ein asthmatischer Sumoringer auf den letzten Metern eines Freak-Marathonlaufs im November. Die Sterne leuchteten wie die mandelförmigen Augen einer persischen Wassertänzerin im Angesicht ihres kuwaitischen Prinzen. Die Eulen pfiffen unfair, wie ein griesgrämiger Schiedsrichter in der dritten bulgarischen Jugendliga Mitte der ersten Halbzeit. Die Blätter an den Bäumen rauschten wie ein sizilianisches Wasserklosett bei Taormina nach der Benutzung durch zwei schwarzgekleidete Katholikinnen während der Fronleichnamsprozession. Der Straßenlärm verstummte langsam, wie ein 43jähriger Bankbeamter während eines Überfalls von drei, mit Kopftüchern vermummten Halbstarken aus Neuguinea. Was blieb, war eine Stille, eine Stille wie der Hilfeschrei eines Zierfisches während des Ausleerens eines Aquariums in einer Neubausiedlung, die einen üblen Leumund genießt aufgrund zahlreicher Missstände, die zu lösen ein ohnmächtiger Bürgermeister nicht imstande ist, so still. Tja, und dann, dann wird's wieder Tag, und der Tag ist halt genauso Scheiße wie alle andern auch.
Pop
Er war Professor für abgewandte Kunst. Er malte mit dem Rücken, und wenn das Bild fertig war, schaute er es nicht an. Er war 36, etwas größer als er, aber durchaus schmächtiger Statur, ein Fettwanst eben, mit gelbem Haar und pechschwarzen Locken; er war Künstler. Dann wachte er auf und ging zur Arbeit. Es war genau wie im Traum! Seine Arbeit bestand tatsächlich darin, auf irgendeiner Akademiegalerievernissage mit dem Rücken Bilder zu malen, die er dann nicht anschaute. Und er war tatsächlich 36; und er war tatsächlich etwas größer als er selbst, das hatte er abgemessen, drei, vier Zentimeter! Auch das mit den Haaren stimmte, er hatte prachtvolle schwarze Locken, aber doch nur dünnes gelbes Haar. Seine Eltern – ja, da war die Sache mit seinen Eltern –, seine Eltern leiteten einen Safaripark mit 300 Quadratmetern Gelände. Das einzige Tier im Safaripark war ein Pudel. Aber auch kein richtiger: ein Mensch steckte in dem Pudelkostüm. Es war ein schlechtes Kostüm, Arme und Beine hingen raus aus dem zerschlissenen Pudelkostüm. Er war das in diesem Pudelkostüm, er, der Sohn seiner Eltern. In diesem Kostüm verbrachte er seine Kindheit. Als er neun war, trennten sich seine Eltern, aber von ihm. Sie hatten ihn immer nur mehr »Pudelarschloch« genannt, dabei waren sie es doch, die ihn gezwungen hatten, als Pudel in diesem lächerlichen Safaripark auf allen Vieren die Gäste zu unterhalten, die sowieso nicht kamen. Pudelarschloch wurde zur Adoption freigegeben. Genommen haben ihn acht Jahre später wieder seine Eltern, die betrunken zur Adoptionsstelle kamen und ihn ohne Pudelkostüm nicht mehr erkannten. Jetzt ging der ganze Scheiß von vorne los. Der einzige Unterschied: Den Safaripark, den gab's nicht mehr. Stattdessen hatten seine Eltern einen Adlerhorst, nur Adler gab's natürlich keine. Musste also wieder er herhalten, auf Häuser steigen, runterspringen und so tun, als könnte er fliegen, und das ganze aus Kostengründen natürlich im uralten zerrissenen Pudelkostüm. Das machte er bis er 35 war. Er hasste verständlicherweise seine Eltern mittlerweile, liebte aber mit Hingabe Vater und Mutter! Denen, also Vater und Mutter, erzählte er immer, wie schrecklich seine Eltern waren, und bekam dafür Prügel. Als er erfuhr, dass die Eltern den Bau eines riesigen Aquariums in Auftrag gaben, riss er aus und entdeckte die Popmusik von Schobert und Black. Diese Musik inspirierte ihn zum Rückenmalen. Er lebt inzwischen ganz gut vom Verkauf seiner Bilder. Und an all das, an sein Leben, musste er denken, als er in dieser Akademiegalerievernissage stand und mit dem Rücken zur Leinwand aus dem Fenster schaute. »Um Himmels
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