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Speichelfaeden in der Buttermilch

Speichelfaeden in der Buttermilch

Titel: Speichelfaeden in der Buttermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann , Christoph Grissemann
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dann Bruno immer und hatte Schaum vorm Mund. Sie ließen sich scheiden. Das Gericht sprach Bruno Melanies Mütze zu. Was ihre Brüste betraf, entschied man, dass Bruno die Hälfte des Silikons bekommt, die andere Hälfte wurde der »Aktion Sorgenkind« zugesprochen. Aber Bruno Ganz, ganz Fuchs, vereinbarte mit der »Aktion Sorgenkind« eine Tauschaktion: Melanies Mütze gegen die Silikonhälfte. Jetzt war Bruno glücklich. Er hatte das ganze Silikon, mit dem er seinen Ifflandring ausstopfen konnte. Heute trägt der stolze Schweizer Ganz den Ifflandring um den Oberschenkel. Und Melanies Mütze? Melanies Mütze, zu was war die noch nütze? Nur zu Blütze, Blütze, Liegestütze.
    Willie und Mink de Ville in Andalusien
    Willie und Mink de Ville sind irgendwie miteinander verwandt. Sicher ist: Mink ist der Bruder von Willie, was Willie ist, das wissen beide nicht. Was Willie ist, das ist doch wurscht. Willie und Mink de Ville sind einfach da. Da kann man gar nichts machen. Das ist halt so. Willie und Mink de Ville sind, so wie sie sind, ganz normale Rocker, wie es Tausende gibt. Gary Glitter zum Beispiel. Seit Jahr und Tag fragen sich Willie und Mink de Ville was mit ihren Ohren los ist. Sie haben nämlich keine. Wo normale Menschen – wie Gary Glitter zum Beispiel – die Ohren haben, haben Willie und Mink de Ville Tiramisu. Es ist immer das gleiche Spiel in der andalusischen Villa, wo sich die beiden Rocker seit ihrer Beinamputation ein zweites Standbein aufgebaut haben. Wenn das Telefon läutet und es ist für Willie, dann darf Mink anschließend den Telefonhörer abschlecken. Wenn es für Mink ist, darf Willie schlecken.
    Tja, so ist das bei Willie und Mink de Ville in Andalusien.
    Trauer in der Scharlach-Weltrangliste
    Jahrelang gehörte Swip Schniss zu den Top Ten der Scharlach-Weltrangliste, nur ein einziges Mal, es war im Herbst 1987, fiel Schniss nach einem kurzen gesundheitlichen Hoch auf Platz 270 der Scharlach-Weltrangliste. Aber er kämpfte sich wieder ganz nach oben, mit der Hilfe seines Trainers Sick Bolitieri. Er siechte sich nach vorn. Erst spät ist der Scharlachspezialist darauf gekommen, dass er auch in anderen Kinderkrankheiten internationale Spitze war. Beim Windpocken Open in Rotterdam kam er ungesetzt ins Viertelfinale, um kurz darauf beim Feuchtblattern/Masern-Indoor Gstaad als Sieger das Krankenbett zu verlassen. Swip Schniss hat es allen gezeigt. Er war der Profi-Kinderkranke schlechthin. Mit 87 holte er sich den Kinderkrankheiten-Gesamt-Weltcup, und mit 89 landete er während der Scharlach-Weltmeisterschaft in Japan seinen letzten, großen Erfolg. Er starb als erster 89jähriger den plötzlichen Kindstod. So groß der Jubel über Schniss' Sieg war, so herrscht doch Trauer in der Scharlach-Weltrangliste. Sein letztes Interview gab Swip Schniss vorletzten Dienstag in der Sportsendung »Zu dritt in kleine Förmchen setzen« – zugegeben ein etwas sperriger Name für eine Sportsendung.
    Magistra Inge Sämann schreibt zu diesem Text in ihrer Promotionsschrift »Abschwellender Bocksgesang. Kulturkritik im Schweinehälftenkostüm«:
    Auch dieses frühe Prosastück haben wir als politische Parabel zu lesen, denn – bei aller philosphischen Reduktion auf die existentielle Grunderfahrung des Absurden – Handlung und Setting sind durchaus transparent auf die demografischen und gesellschaftlichen Realitäten: Im ebenso erfolgreichen wie vergeblichen Ringen des greisen Protagonisten zeichnen sich die psychosozialen Folgen gegenwärtiger demografischer Entwicklungen ab: Swip Schniss ist Produzent und Produkt einer zugleich überalternden wie dem Jugendlichkeitswahn verfallenen Gesellschaft. Wer, wenn nicht er, ein 89jähriger mit nachgerade verzweifelter Affinität zur Kindheit und ihren Krankheiten, könnte die Aporien der gerontokratischen Gesellschaft trefflicher verkörpern?
    Gleichzeitig findet sich auf dem Krankenblatt dieses Repräsentanten der vergreisenden Infantilgesellschaft noch eine weitere, eine historisch ältere Signatur: Die Art und Weise, in der Swip Schniss seine scharlachwunde Haut zu Markte trägt, folgt bis ins Kleinste den Regeln des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Der alte Schniss hat den Wettbewerbsgedanken so weit internalisiert und auf alle Lebensbereiche – gar auf den Bereich des Körperlichen – ausgedehnt, dass er für eine, mit dem höheren Weltranglistenplatz verbundene Statusaufwertung tatsächlich sein Leben opfert, ein Leben, dessen Wert er eben nicht

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