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Speichelfaeden in der Buttermilch

Speichelfaeden in der Buttermilch

Titel: Speichelfaeden in der Buttermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann , Christoph Grissemann
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Waschraum. Tatsächlich, aus der Waschmaschine kamen Schnarchgeräusche. Ekelhaft. Irgendwann hatte auch Gerti genug, irgendwann ist Schluss! Die Spinnweben von fremden Männern abmachen. Irgendwann reicht's! Sie schüttete eine ganze Packung Omo auf den Penner, schloss blitzschnell die Trommel und stellte die Maschine auf 90º ein. Mit einem Fläschchen Jägermeister saß sie vor der Maschine und betrachtete ihren Arbeitgeber, der jetzt offensichtlich wach geworden war. »Ach, auch schon wach der Herr, was? Während unsereiner hier seit Stunden schuftet, ist der Herr sich ja scheinbar zu fein aufzustehen! Wohl was Besonderes, der Herr!« So redete Gerti vor sich hin, bis es Zeit war zu gehen. Sie nahm ihre Tasche und das Geld vom Tisch und ging zu ihrem nächsten Job, nicht ohne zuvor noch einmal höflich in den Waschraum zu rülpsen.
    Der Dutt
    Es war verheerend peinlich. Über Nacht war ihm ein Dutt gewachsen. Ein unzerstörbarer, unabrasierbarer, steinharter, aschgrauer, 30 Zentimeter dicker Dutt! Und das ihm, dem österreichischen Justizminister Doktor Dieter Böhmdorfer. Ein straußeneigroßer Dutt aus dichtem, drahtigem Haar. Doktor Dieter Böhmdorfer sah aus wie seine eigene sudetendeutsche Großmutter. »Oh mein Gott! Mein lieber Scholli!«, dachte Doktor Dieter Böhmdorfer, als er sich im Spiegel verquält betrachtete. »Was macht das denn jetzt für einen Eindruck auf der Bude, beim Mensurfechten, beim Bierkrugstemmen, beim Singen der schönen nationalen Liederchen, beim Prost auf Deutschland? Verdammte Scheiße noch mal, so ein Drecksdutt! So ein Hurendutt! Ich bin geliefert!«, ereiferte sich der im wahrsten Sinn des Wortes verdutzte Justizminister Doktor Dieter Böhmdorfer. Der Dutt thronte wie ein weibisches Kainsmal auf seinem Haupt. Er riss und zerrte und zog und rüttelte an seinem Dutt, aber vergebens. Schweißgebadet stand der liebe Justizminister nackt in seinem Badezimmer und ergab sich resignativ der Situation, fügte sich gleichsam in sein seltsames Schicksal. »Immerhin«, murmelte Doktor Dieter Böhmdorfer leise vor sich hin, »Immerhin ein Dutt. Ein schöner deutscher Damendutt. Ja, ein Dutt! Keine Negerzöpfe!«, sagte er pragmatisch, schälte sich in Anzug und Krawatte und schritt mit stolz geschwellter Brust und keckem Dutt ins Parlament, wo er sich, wie immer, im Justizausschuss vehement gegen eine Änderung des Homosexuellen-Paragraphen im Strafgesetzbuch aussprach. Dutt sei Dank, business as usual.
    Doktor Paulchen staunt nicht schlecht
    »Oh, wow, das gibt's ja nicht! Unglaublich!« Er riss die Augen weit auf. Ja, Doktor Hermann Paulchen staunte nicht schlecht. Wenn Doktor Paulchen etwas konnte, dann war das staunen, nicht schlecht staunen. Doktor Paulchen staunte jedesmal so, als sähe er alles zum ersten Mal. Wenn die Ampel von Rot auf Grün sprang, hörte man Doktor Paulchen erstaunt rufen: »Darf das wahr sein? Das gibt's doch alles nicht!« Für die Semmeln, die in der Bäckerei lagen, hatte er ein »Ich fass es nicht, wie gestern und vorgestern! Jeden Tag gibt's hier S-E-M-M-E-L-N !« Oft forderte er die irritierte Bäckerin auf, ihre Semmeln zu fotografieren, damit Leute, die nicht dabei sind, das auch glauben! Ohnmächtig vor Erstaunen wird Doktor Paulchen dann, wenn seine Mutter bei Regen einen Regenschirm aufspannt oder abends mit einem Wurstkranz nachhause kommt. »Das gibt es einfach nicht! Das gibt's nicht! Wo ist der Fotoapparat, Mutter?« Wenn Mutter Paulchen dann den Fotoapparat herauskramt, ist es um Doktor Paulchen restlos geschehen. »Was ist das denn? Unglaublich, ein Fotoapparat! Das hat die Welt noch nicht gesehen!« Ein Kind mit Brille, ein Hund an der Leine, nur eine Brille, nur eine Leine, ein Schatten, elektrisches Licht, ein Mann, eine alte Frau, Käse, ein Esel und so weiter, die Liste der stauneswerten Dinge und Zustände ist so lang wie die Liste der Dinge und Zustände auf der Welt. Mangelnde Begeisterungsfähigkeit konnte man Doktor Paulchen also beileibe nicht vorwerfen. Künstler liebten Doktor Paulchen. Kabarettisten spielten ihm vorab ihre Stücke vor, um sich einen Motivationsschub zu holen. Architekten hielten ihm reihenweise ihre neuesten Entwürfe unter die Nase, ganze Heerscharen von verzichtbaren Experimentalfilmern zeigten ihm ihre Werke, Tanztheater spielten nur für ihn, von den Zauberern ganz zu schweigen. Doktor Paulchen staunt nicht schlecht. Am 13. November 1998 geschah etwas, das zum ersten Mal alle anderen zum Staunen brachte. Etwas

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