Speichelfaeden in der Buttermilch
Unglaubliches geschah: ein sechsköpfiges Wesen, halb Mensch, halb Kaffeemaschine, riss den Himmel mit ohrenbetäubendem Geschrei entzwei und landete, begleitet von Millionen weißen Tauben, auf dem Dach der Bushaltestelle, an der Doktor Paulchen stand. Doktor Paulchen blickte nur kurz mit dem linken Auge auf, murmelte »Tag.« und stieg in den Bus. Da wussten alle, es war vorbei. Bye bye, Staunemann. Bye bye, Doktor Paulchen.
Eineiige Zwillinge
Da saßen sie am Frühstückstisch, mit hochroten Köpfen und wütendem Blick Messer wetzend. Die Zwillinge Erika und Barbara tobten. Sie hatten sich nie gemocht. Erika hasste die blonde Barbara, und Barbara verabscheute die klein gewachsene brünette Erika. Nichts deutete darauf hin bei den beiden, dass sie Zwillinge waren. Und das war aus Sicht der Mädchen auch gut so. Sie waren halt wenige Minuten nacheinander auf die Welt gekommen, aber ähnlich? Ähnlich sahen sie sich nicht. Die blonde Barbara hatte unter schwerer Akne zu leiden, während Erikas Haut zwar tadellos, dafür aber ihr linkes Bein kürzer als das rechte war. Um die Hälfte kürzer, was zur Folge hatte, dass Erika furchtbar schief ging. Die beiden 17jährigen Mädchen waren auch im Wesen unterschiedlich. Barbara war eine aggressive begeisterte Töpferin und Nationalsozialistin, die sich vehement dafür einsetzte, dass auch in Slowenien alle Ortstafeln die Ortsnamen auf deutsch angeben, während Erika mit anderen schief gehenden Mädchen eine Autonomengruppe gegründet hatte. Die schiefen Mädchen beklebten österreichweit Ortstafeln mit achtsprachigen Aufdrucken. »Das Albernste sind Zwillinge, die sich so ähnlich sind, dass man sie nicht unterscheiden kann!« Darin immerhin waren sich die kugelrunde Barbara und die gertenschlanke Erika einig. Es gibt ein Menschenrecht auf Individualität! Und dann das: nur ein Frühstücksei für die Twin-Girls. »Was soll das, Mutter?«, schrie Barbara. »Haben sie dir ins Hirn geschissen, Mutter?«, brüllte Erika. »Nur ein Ei für uns beide?«, schrien und brüllten sie im Chor so laut, dass der Nachbarshund starb. Hunde haben ja ein so unfassbar empfindliches Gehör. »Wir sind doch keine eineiigen Zwillinge, Mutter!« »Ach, leckt mich doch am Arsch!«, antwortete ihre Mutter ruhig und stopfte sich das ungeschälte Ei in den Mund. Die Schalen knirschten laut. »Ach, Zwillinge!«, stöhnte sie genervt.
Alltag in Kabul
Herrlich, diese neue Freundin! Wer eine starke Raucherin zur Freundin hat, braucht keinen Wecker. Mahmut wurde auch so wach. Punkt 7.00 Uhr rasselte ihre Lunge so stark, dass es ihn aus den tiefsten Träumen riss. Herrlich, dieses Rasseln! Mahmut zog sich den Kaftan mit den Leuchtstreifen an und verließ das Haus. Mahmut war Schülerlotse in Kabul. Auf dem Weg zu seiner Straßenkreuzung las er seine Lieblingszeitung, die zensierte Ausgabe der Bravo . Herrlich! Die Sittenwächter hatten alle Seiten rausgerissen bis auf das Foto eines Schafs. Die unzensierte Ausgabe der Bravo hatte Mahmut immer nervig gefunden. Diese idiotischen Fotostorys, und die blöde Doktor-Sommer-Seite! Jede Bravo lässt sich auf ein Schafsfoto reduzieren und gewinnt dabei noch. Musik zu hören hatten die Sittenwächter ja Gott sei Dank auch verboten, nachdem im Taliban-Fernsehen ein Video von » DJ Ötzi« gelaufen war. Sein Job als Schülerlotse war gar nicht mal so leicht. Ständig verfingen sich Bärte in den Speichen von Motorrädern. Am gefährlichsten waren Frauen am Steuer. Dadurch, dass sie vollkommen verschleiert waren, auch im Gesicht, konnten sie beim Fahren überhaupt nichts erkennen und fuhren deshalb regelmäßig vor andere Autos, vor Häuser, vor Menschen, vor Tiere und auch vor den armen Mahmut. Wie Mahmut da so an der Kreuzung stand, in seinem martialischen Schülerlotsenkaftan, und seinen heldenhaften Kampf mit dem verrückt gewordenen Verkehr führte, wäre niemand auf die Idee gekommen, dass hier jemand war, der nachts in Frauenkleidern geht! Mahmut nämlich war Kabuls einziger Hobby-Transvestit. Nach der Arbeit kaufte er Zigaretten für seine Freundin. Während sie dann die ganze Nacht Milde Sorte rauchte, zog er sich ihren blauen Ganzkörperumhang an, mit dem engmaschigen Sichtfenster aus Draht vor den Augen, und zog freudestrahlend um die Häuser. Herrlich, diese Frauenmode! Zumindest für Transvestiten, die nicht erkannt werden wollen. Mahmut war glücklich. Und so verging der friedliche Tag eines ganz normalen Mannes in Kabul.
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