Speichelfaeden in der Buttermilch
wurde ja aus Kostengründen noch nie geheizt, das sind wir alle gewöhnt. Aber seit einigen Tagen hat der Chef die Redaktionsräume auch noch an eine Metzgerei als Tiefkühlhalle vermietet. Minus 12º! Auf den Schreibtischen gefrorene Schweinehälften. Anfänglich haben wir gedacht, dass die Mieteinnahmen vielleicht uns Mitarbeitern zugute kommen, aber Pustekuchen. Über Megafon hat der Chef verkündet, dass wir das Geld brauchen, um die immer noch zu hohen Heizkosten einzudämmen.
Habe mich sehr erschrocken, als im Studio ein Bison vor mir stand. War aber nur Cheftechniker Redlich, der sich für 12.000 Euro einen warmen Fellmantel aus acht Bisons hat anfertigen lassen. Unser Chef Lehnert trägt einen wärmenden Ganzkörperanzug, der aus den Wimpern von 24.000 Schneehasen hergestellt wurde. Das soll das Beste sein, was es auf dem Extremklamottenmarkt zurzeit gibt! Alle anderen von uns mussten unsere Wintermäntel und -jacken in einer großen PR -Aktion der Afghanistan-Hilfe spenden, auch Pullover und lange Hosen. Wir arbeiten alle halb nackt und versuchen, uns mit Schreibmaschinen zu wärmen. Das hat doch alles mit Radiomachen im herkömmlichen Sinne nichts zu tun.
8.1.2002
Liebes Tagebuch! Die Zustände bei Radio Eins sind eines öffentlich-rechtlichen Senders nicht würdig. Nach der Vermietung der Redaktionsräume an eine Metzgerei als Tiefkühlhalle ist das Arbeiten für uns alle unerträglich geworden. Ein Kollege der Wetterredaktion wurde in der Früh von einer herunterfallenden Rinderhälfte erschlagen, und Stermann hat sich an einem messerscharfen Eiszapfen die Halsschlagader verletzt. Sein Blut tropfte auf eine Kiste mit Rippchen. Laut Cheftechniker Redlich, dem hinterhältigen Erfüllungsgehilfen von Senderchef Lehnert, muss Stermann jetzt die Rippchen ersetzen. Ich selber wurde von einem Metzgerlehrling zu den Wildschweinen gehängt. Ich hatte einfach keine Kraft, mich zu wehren. Die Nachrichtensprecher konnten die Nachrichten nicht verlesen, denn die Lippen waren ihnen zugefroren.
Endlich kann ich wieder sehen! Grissemann hat mir mit einem Eiskratzer die Augen freigemacht. Aber der Anblick meiner verdienten Kollegen macht mich traurig, wie sie da blau und zitternd zwischen hunderten von gefrorenen Tieren kauern. Mehrere Kollegen werden vermisst, wahrscheinlich liegen sie unter dem Riesenberg Gänse. Ich bin froh, dass ich einen Bekannten beim Privatradio habe. Ich habe ihn in seinem Sender angerufen, und er hat seinen Hörer ganz dicht an die Zentralheizung bei ihnen gehalten. Ich hatte wirklich das Gefühl, dass es warm aus dem Hörer bläst! Aber so wie es aussieht, haben wir das Schlimmste noch vor uns. Der Chef verhandelt gerade mit einer Firma, die Embryonen einfriert. Wenn die mehr zahlen als der Metzger, dann wird's wirklich hart. Embryonen werden bei minus 100º aufbewahrt! Das hat doch alles mit Radiomachen überhaupt nichts mehr zu tun.
9.1.2002
Um Werbekunden zu zeigen, dass Werbung auf Radio Eins funktioniert, wurden alle Mitarbeiter verpflichtet, sämtliche Produkte zu kaufen, für die bei uns geworben wird. Zu diesem Zweck hat ein privater Kreditvermittler ein eigenes Büro bei Radio Eins bezogen. Außerdem wird uns ein Makler beraten, wie wir halbwegs günstig an Lagerhallen kommen. Wir brauchen ja sehr viel Platz für all die Produkte. Stermann, der Schleimer, hat bereits die gesamte Produktpalette der gestrigen Werbeblöcke gekauft! Dafür hat er vom Senderchef Lehnert einen goldenen Radio-Eins-Aufkleber bekommen. Ich hab noch nichts und bekam deshalb heute Früh von Cheftechniker Redlich ein Ohrfeigengewitter und einen Radio-Eins-Einkaufskorb, mit dem ich sofort nach der Arbeit los muss. Mensch, das hat doch alles mit Radiomachen überhaupt nichts mehr zu tun!
Ich freue mich auf das Wochenende, weil da keine Werbung läuft. Dann kann ich endlich in Ruhe Lagerhallen besichtigen. Ich bin auch froh, dass ich nicht bei Sat.1 arbeite oder ProSieben, da wär ich ja nach einem Werbeblock schon pleite! Obwohl der freundliche Kreditvermittler uns allen diese Angst nimmt. Geld bekommen wir unbegrenzt von dem netten Goldkettchenträger, im Verhältnis 1:2. Er gibt uns einen Euro, und wir geben ihm zwei zurück. Das sei, so sagt er, genau so wie mit Mark und Euro, da würden wir uns schon dran gewöhnen. Man muss in seiner Arbeit eben flexibel sein. Grissemann, die faule Sau, kümmert sich nur um die Sendung. Als käme es darauf an! So bekommt er nie einen goldenen
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