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Speichelfaeden in der Buttermilch

Speichelfaeden in der Buttermilch

Titel: Speichelfaeden in der Buttermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann , Christoph Grissemann
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von der Tür und öffnete kurz die Tür. Dann knallte er sie schnell wieder zu und hängte die Kette wieder davor. Ich muss jetzt schließen, liebes Tagebuch, denn es ist wieder Sprechertraining. Seit zwölf Tagen üben wir alle immer wieder im Chor das Wort »Bruttosozialproduktsteigerung«. Wenn sich auch nur einer ein einziges Mal dabei verspricht, kommen wir alle hier nie mehr raus, hat Obertonmeister Redlich gesagt und sich genüsslich die Currywurst reingeschoben.
    13.1.2002
    Liebes Tagebuch, ich bin noch immer schweißgebadet, und mein Puls will sich nicht beruhigen. Aber wir haben es geschafft. Heute Morgen hat uns Cheftechniker Redlich über Megafon eine neue Anweisung von Senderchef Lehnert durchgegeben: die 70 Mitarbeiter von Radio Eins wurden aufgefordert, jeden einzelnen Jugendlichen in Berlin und Brandenburg innerhalb von acht Stunden zu interviewen. »Der Chef will keinen einzigen Menschen unter 18 sehen, dem kein Mikrofon vor die Schneuzrübe gehalten wird!«, brüllte Obertonmeister Redlich. 985.000 Interviews in acht Stunden im ganzen Sendegebiet! Stermann und ich haben das gesamte deutsch-polnische Grenzgebiet übernommen. Wir haben so geschwitzt, dass die Ureinwohner dort dachten, es habe wieder einen Oder-Neiße-Dammbruch gegeben!
    Ich will nie mehr in meinem Leben einen Jugendlichen sehen! Der Chef hatte uns instruiert, dass wir mit den Jugendlichen auf du und du sein müssen. »Denkt ans Image, die müssen glauben, ihr seid die coolsten Säue des Landes!«, hatte er gesagt. Nun, das Durchschnittsalter von uns Radio-Eins-Mitarbeitern liegt bei 52,4. Viele von uns sind unfruchtbar und haben keine jüngeren Geschwister. Wie sollen wir da wissen, wie man mit Jugendlichen einen gemeinsamen Nenner findet? Grissemann und ich haben heute, um uns einzuschleimen, mehrere hundert Pillen geschluckt und fast 5000 Joints geraucht. Dazu hat jeder von uns etwa 900 Liter getrunken, Bier und Schnaps. Wir haben uns gegenseitig mehrmals den Magen auspumpen müssen, wegen der vielen »N'Sync-Platten«, die wir uns anhören mussten. Liebes Tagebuch, das hat doch alles mit Radioarbeit praktisch gar nichts mehr zu tun!

FM4
    2003
    2.11.
    Große Aufregung. Heute Vormittag hat Senderchefin Eigensperger befohlen, dass sich von nun an alle FM4- Mitarbeiter zur Begrüßung auf den Mund küssen müssen, um die Stimmung im Team zu verbessern. Nun hat der Sender an die 60 Mitarbeiter. Das heißt, jeder Einzelne Redakteur muss 59 Münder küssen, ehe er mit der Arbeit beginnen kann. Wie unglaublich zeitaufwendig das ist, hat die Chefin wohl unterschätzt. Das Zwangsgeknutsche heute früh hat über drei Stunden gedauert. Ob das die Stimmung hebt, ist fraglich, mir jedenfalls ekelt vor den ganzen Schlabbermäulern, zumal der eine oder andere sexuell ausgehungerte Redakteur versucht hat, mir die Zunge in den Mund zu schieben – und über Kollege Stermanns aggressive Herpesinfektion auf Ober- und Unterlippe wird bei der nächsten Krisensitzung auch gesprochen werden müssen …
    Mir gefällt der Begrüßungskuss-Befehl der Senderchefin. Hätte sogar noch einige Verbesserungsvorschläge. Zur morgendlichen Begrüßung sollten wir FM4- Mitarbeiter uns nicht nur küssen, sondern auch noch gegenseitig die Bäuchlein streicheln und die ganze Zeremonie dann mit einem zärtlichen, aber bestimmten Po-Klaps abschließen. So zieht endlich sowas wie menschliche Wärme in den durch und durch zynischen FM4- Alltag ein. Hach, freu ich mich auf morgen! Ich werde der erste im Büro sein und heute Abend vor dem Spiegel einen perfekten Kussmund üben.
    3.11.
    Wahnsinn. Jetzt drehen hier langsam alle durch. Um dem Intellektuellensender FM4 ein glamouröseres Image zu verpassen, hat Chefcontroller Blumenau, der übrigens seit Tagen so gekleidet ist wie David Bowie in der Ziggy-Stardust-Phase, angeregt, dass jeder Mitarbeiter Autogrammkarten von sich herstellen lässt. Selbstverständlich auf eigene Kosten. Obwohl noch kein einziger Hörer in den neun Jahren, die FM4 besteht, jemals von irgendeinem Moderator ein Autogramm verlangt hat, tragen jetzt selbst die ukrainischen Raumpflegerinnen ein ganzes Set Autogrammkarten mit sich herum. FM4 ähnelt immer mehr der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses. Größenwahnsinnige Wetterredakteure kommen mit Bodyguards ins Büro, Kantinendamen geben Pressekonferenzen zum Thema »meine Bockwurst ist die beste«, und Patrick Pulsinger, einer der wenigen wirklichen Stars von FM4 , hat sich

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