Speichelfaeden in der Buttermilch
und japsen und ringen bereits nach Luft, aber wir zwei könnten noch Jahre so weitertanzen. Und wenn's sein muss, werden wir es auch tun. Eleganz und Ausdauer – wir tanzen die anderen in Grund und Boden.
29.5.
Liebes Tagebuch, mir ist schwarz vor Augen und ich habe einen Blutdruck von 490 zu 490, aber ich gebe nicht auf. Seit 56 Stunden tanze ich mit dem FM4- Einbeinigen im Arm ununterbrochen, um den Tanzmarathon zu gewinnen. Leider hat sich der Einbeinige vor neun Stunden das gesunde Bein gebrochen, aber er hält sich wacker auf dem Holzbein. Edlinger und Ostermayer sind vor einer Stunde zusammengebrochen, und auch das meiner Meinung nach ohnehin irreguläre Tanzpaar Votava/Haipl/Knötzl hat aufgegeben, nachdem sie sich so ineinander verknotet hatten, dass sie sich nicht mehr von der Stelle bewegen konnten. Wer sich nicht mehr bewegt, fliegt raus. So einfach sind die Regeln. Johanna und Karl Schnabel, das Telefondienstpaar, liegen bewusstlos mitten auf der Tanzfläche, ebenso Duncan Larkin und Stuart Freeman, die einfach viel zu alt sind für so einen Wettbewerb. Nur der Einbeinige und ich und Stermann und Wortchef Pieper sind noch übrig. Die werden wir auch noch besiegen. Ich führe den inzwischen auch fast reglosen Einbeinigen immer so geschickt übers Parkett, dass sein massives Holzbein immer wieder mal voll gegen Stermanns Beine schlägt. Der Deutsche schreit dann immer mit schmerzverzerrtem Gesicht auf. Den zermürb ich, liebes Tagebuch, und die 100 Euro Preisgeld gehören dann mir!
Liebes Tagebuch, durch die ständigen Holzangriffe hab ich zahlreiche Prellungen, und vier Bänder sind mir gerissen, dazu hat Grissemann mir vor einer Stunde mit dem Einbeinigen meine Kniescheibe zertrümmert. Aber ich gebe sicher nicht auf. In meinen Armen schläft seit drei Stunden Wortchef Pieper – hoffe ich zumindest. Er hat die Augen geschlossen, atmet aber nicht. Aber darauf kann ich jetzt keine Rücksicht nehmen. Ich wirbele ihn immer wieder so herum, dass ich mit ihm Grissemann gezielt ins Gesicht schlage. Gott sei Dank hat Pieper diese harten Tanzsohlen aus Eisen, das muss dem dämlichen Grissemann höllisch weh tun. Er blutet aus Ohren, Mund, Nase und Haaren und dazu noch aus den Schuhen. Hör auf, Mann. Gib auf, du hast keine Chance, ich … Oh, jetzt hat mir das Schwein das Holzbein direkt ins Gemächt gehauen! O mein Gott, Hoden und Penisbruch, pass auf Bürschchen, jetzt schlag ich dir den kleinen Pieper volle Kanne aufs Steißbein! Da! Herrlich, man hat es laut krachen hören, und Grissemann stürzt zu Boden, aber ich kann mich auch nicht mehr halten. Aus, alles aus. Liebes Tagebuch, nur einer steht noch … auf seinem Holzbein. Der FM4- Einbeinige. Und damit sind Grissemann und der Einbeinige die Sieger. Was für eine Schmach. Und was für ein Bild. Alle liegen am Boden, und in der Mitte steht bewusstlos der Einbeinige auf seinem Holzbein. Ich muss schließen, liebes Tagebuch, weil ich ohnmäch…
30.5.
Liebes Tagebuch, diese Frühjahrsmüdigkeit bei den lieben Kollegen ist gefährlich. Immer wieder schlafen FM4- Mitarbeiter während der Arbeit ein. Natürlich auch, weil das Tagewerk bei unserem kleinen Indie-Sender unglaublich langweilig ist, aber wohl vor allem aus biorhythmischen Gründen. Als erste wurden die Herren Musikredakteure von dem Schlappheits-Virus befallen. Vor Wochen schon sind sie mit ihren Köpfen auf ihre Plattenspieler und CD -Player gefallen und scharchen seitdem laut vor sich hin, was ein bisschen klingt wie eine monotone Ausgabe von »La Boum de Luxe«. Regelmäßig kippen Kollegen aus den Latschen, wenn Senderchefin Eigensperger auf Sitzungen das Wort ergreift. Etwa 10–15 Kollegen liegen seit Tagen im Sitzungssaal und sind unerweckbar. Dieses Trägheits-Syndrom bei FM4 macht mir Angst. Ich hab in der Redaktion schon Tsetsefliegen panisch flüchten sehen. Dem lieben Andreas Gstettner sind beide Beine und die Haare eingeschlafen, er ist somit zusammen mit Ute Hölzl noch der Fitteste. Ute Hölzl sind Augenlider, Ohren und Teile des Unterleibs eingeschlafen. Kollege Stermann ist so wie immer, eine Mischung aus Hirntod und Hirntiefschlaf.
Liebes Tagebuch, ich mache mir Sorgen. Bei Grissemann schlummern Moral und Anstand tief und fest vor sich hin, jede Form von Menschlichkeit ist bei ihm in eine Art Koma gefallen, mit anderen Worten ist er zu einer Art Martin Blumenau geworden. Dass der Charakter auch frühjahrsmüde sein kann, lernt man hier bei FM4 auf schmerzhafte Weise. FM4
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