Speichelfaeden in der Buttermilch
tun.
Liebes Tagebuch, während Blumenau bei der heutigen Aufzeichnung des Gebärdensprachkurses zwei Stunden durchgeschlafen hat, musste ich 200 Wörter an die Tafel schreiben. Nach jedem Wort habe ich eine kurze Pause gemacht, in der man sich die Gebärde denken soll. Vor und nach der Sendung verhält sich Blumenau mir gegenüber äußerst arrogant. Schließlich sei er Starmoderator, auch wenn er nichts sagt. Er überlegt ernsthaft, aus FM4 einen reinen Pantomimensender zu machen mit ihm als einzigem Moderator. 24 Stunden. »Die schöne Geste« soll der Sender dann heißen. Voller Stolz zeigte er mir seinen schwarzen Gymnastikanzug und die weißen Handschuhe. Mit seinem weiß geschminkten Gesicht sieht er so unheimlich aus, dass viele Kollegen vor Angst zu weinen beginnen. Be afraid, honey. It's FM4 .
20.6.
Liebes Tagebuch, um Geld zu sparen und weniger Aufwand zu haben, hat FM4 jetzt einen Interviewgast angestellt. Laut Dienstanweisung dürfen Interviews jetzt ausschließlich mit diesem Gast geführt werden. Er hat ein eigenes Interviewgast-Büro, und wenn man zu irgendeinem Thema jemanden interviewen möchte, muss man zu ihm kommen. Wir waren alle sehr gespannt, wer in den nächsten Jahren unser Interviewgast sein wird – und waren geschockt. Es ist Bata Ilic, der abgetakelte Schlagersänger, von dem viele dachten, er sei schon tot. Schon bei der Begrüßung fiel niemandem auch nur eine einzige Frage an Bata Ilic ein. Das kann ja heiter werden.
Liebes Tagebuch, heute liefen insgesamt 143 Interviews mit Bata Ilic auf FM4 : zur Irakkrise, zu den Börsenkursen, zur Unireform, der neuen Platte von »Coldplay«, zu Jelinek, dem Rabenhof, zu allem wurde Bata Ilic befragt. Ich will dem Herrn nicht zu nahe treten, aber Bata Ilic kann nicht einmal zum Thema Bata Ilic irgendetwas Interessantes von sich geben. Aber laut Chefin Eigensperger ist er der billigste Interviewgast, den man aktuell kriegen kann. Schon Nora, die Exfrau von Thomas Anders, wäre teurer gewesen. Während ich das hier schreibe, liebes Tagebuch, sitzt Bata Ilic gerade im Studio und versucht, sich zum Thema »Globalisierung« zu äußern. Er sagt, dass er einen hat, der von innen beleuchtbar ist.
21.6.
Liebes Tagebuch, ich kannte den Begriff »Quotennutte« natürlich, aber bisher eher im übertragenen Sinne. Ich hätte nie gedacht, dass es so weit kommen könnte. Alles begann mit dem Besuch eines Arztes hier bei FM4 , der uns Mitarbeiter auf Geschlechtskrankheiten testete und dann Unbedenklichkeitszeugnisse austeilte. Nach der Arbeit müssen wir jetzt alleinstehende Hörer und Hörerinnen »verwöhnen«. Es ist so demütigend. Man kann uns telefonisch über eine Karibiknummer buchen. Würde man uns »nur« für Telefonsex einsetzen, okay, das ließe ich mir ja noch einreden – schließlich verdienen wir mit Reden unser Geld –, aber gleich der ganze Körper? Ich komme gerade von einem 76jährigen Ex-Stasi-Oberst, der mit mir seine wildesten Vernehmungsphantasien durchspielte. Ich saß nackt auf einem Eisenstuhl und hatte ein Mikrofon im Mund. You're not at home, you're at work.
Liebes Tagebuch, ich komme gerade vom Außeneinsatz bei einer Damen-Seniorinnen-Fußballmannschaft. Ich war so etwas wie ihr Fußball der Lust. Wie sich herausstellte, haben sie alle noch nie FM4 gehört, wollen es aber ab jetzt tun. Offenbar funktioniert das Prinzip der »Quotennutte«. Grissemann ist wahrscheinlich gerade wieder bei seinem Oberst. Mein nächster Auftrag ist eine Kegelgruppe in Purkersdorf. Ich soll mich nackt zwischen die anderen Kegel stellen, und wer mich umschießt, darf mich mit nachhause nehmen.
Be afraid honey, it's FM4 .
24.6.
Liebes Tagebuch, die Damen vom psychosozialen Dienst tun mir leid. Die beiden hübschen Psychologinnen sind regelmäßige Radiohörerinnen und haben sich unentgeltlich gemeldet, um uns zu helfen. Sie haben im letzten Jahr unsere FM4- Tagebücher gehört und hatten das dringende Bedürfnis, irgendetwas zu tun, ganz im Gegensatz zu all den anderen Hörern, denen unser Schicksal anscheinend scheißegal ist. Die sich von unseren furchtbaren Verhältnissen nicht menschlich gefordert fühlen, sondern einfach nur berieseln lassen, als wären diese Tagebücher kein Hilfeschrei, sondern eine Schmuseplatte von Superstar Alexander.
Liebes Tagebuch, manchmal hab ich das Gefühl, Medienkonsumenten wollen den ultimativen Schrecken hautnah an anderen erleben, deshalb der Erfolg von »Ich bin ein Star – holt mich hier raus«.
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