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Speichelfaeden in der Buttermilch

Speichelfaeden in der Buttermilch

Titel: Speichelfaeden in der Buttermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann , Christoph Grissemann
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letzte Mal.
    10.7.
    Liebes Tagebuch, dass immer wieder mal FM4- Kollegen in Bayern auflegen oder auftreten, ist nachvollziehbar. Immerhin kann man unseren kleinen Elektronik-Sender dort empfangen, und man kann in München oder Passau mit ein paar Interessierten rechnen. Auch in der Schweiz, zumindest im Grenzgebiet. Aber die Überschätzung der Bekanntheit unseres Senders nimmt Überhand – und die eigene Überschätzung ist die törichte Tochter der Dummheit. Tatsächlich haben die naiven DJ s von »La Boum de Luxe« eine fünftägige Tour durch Nordhessen und Niedersachsen gemacht. Überall zwischen Fulda und Wolfsburg hingen Plakate: »Eure FM4- Stars live in eurer Stadt.«
    Ich habe jetzt in der Marketingabteilung die Tourabrechnung gesehen. An den fünf Abenden hatten die sieben DJ s insgesamt vier Zuschauer, nämlich die vier Clubbetreiber. Leider hat einer von den Betreibern zwei Clubs, sonst wären es vielleicht fünf Zuschauer gewesen.
    Liebes Tagebuch, wie geprügelte Hunde sitzen die Kollegen Votava, Haipl und Knötzl an ihren Schreibtischen nach ihrem Gastspiel im Hamburger »Golden Pudel Club«. Votava zerreißt heulend einen Stapel Flyer, »Sensation! Die drei witzigen FM4- Hauptprojektleiter live in St. Pauli, FM4  – komm lach mit mir.« Haipl ist von einer 50jährigen Punkerin mit einem Matjeshering von der Bühne geprügelt worden. Sie war bei dem zweiwöchigen Gastspiel die einzige Besucherin, die bereit war, die 25 Cent Eintritt für die FM4- »Stars« aus dem Fenster zu werfen. Na ja, ich bin gespannt, wie viele Leute zu Hermes bei seiner Tour durch Nordamerika kommen. »Hermes known from ›Chez Hermes‹, US -Live-Tour 2004 – sponsored by FM4! «
    13.7.
    Liebes Tagebuch, ich bin sehr unzufrieden. Gut, unsere Tour durch Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein war restlos ausverkauft, aber meiner Meinung nach hätte man mehr Tickets verkaufen können, indem man Zuschauer aufeinander gesetzt hätte. Außerdem könnte man auch Zuschauer an die Decke hängen, aber ich will mich nicht beklagen, vor allem wenn ich an die armen Herren Edlinger und Ostermayer denke, die vier Wochen lang in Leipzig im winzigen »Kleinen Hinterzimmer Kellerabteilstheater« gespielt haben, noch dazu auf der Probebühne, wo höchstens zwei Zuschauer Platz finden. Leider ist exakt niemand gekommen – trotz Powerplay-Werbung auf FM4 . Liebe Kollegen, macht es wie die Schuster und bleibt bei eurem Leisten! Am FM4- Wesen will nicht die ganze Welt genesen. FM4 ist nicht CNN , nicht mal 9Live, Hochmut kommt vor dem Fall. Kommt wieder auf den Teppich und sagt um Gottes Willen die Skandinavien-Tour von Puntigam und Haipl ab!
    Liebes Tagebuch, die Herren Pfister, Zikmund und Fuchs sind freundliche, bescheidene und zurückhaltende Menschen – gewesen, bis sie seit ihren Gothic-Lesungen in Wien und Regensburg kleine Erfolge feierten. Jetzt sind sie des Größenwahns fette Beute. Ihre Neigungsgruppe »Gewalt, Sex und gute Laune« will ernsthaft während der Fußball- EM in Portugal im größten Fado-Lokal Lissabons tägliche Lesungen machen, und sie versprechen sich davon den endgültigen, internationalen Durchbruch. Pfister und Zikmund rechnen ernsthaft mit bis zu 5000 Zuschauern pro Abend. Fuchs wäre nur enttäuscht bei weniger als 1000 zahlenden Gästen. Die lieben FM4- Kollegen verwechseln ein bisschen Berühmtheit im Wiener »Flex« mit Weltstarruhm, eine halbvolle Linzer »Stadtwerkstatt« mit dem »Wembley-Stadion« und die »Poolbar« in Feldkirch mit der »Hollywood Bowl«.
    Alles Orte übrigens, an denen Grissemann und ich schon schöne Erfolge feiern durften.
    14.7.
    Liebes Tagebuch, FM4- Vize-Musikchef Andreas Ederer war früher Vizepräsident im Punk-Verein Weiz. Sein Irokesenschnitt war so oft gefärbt, dass er schon wieder die Originalfarbe hatte. Er pinkelte damals ausschließlich in Bierdosen und wusch seine zerrissenen Jeans in Bierpfützen. Er war halt Anarchist und auch Anarchist, was Reinlichkeit betrifft. Ein Dreckspatz, der einfach nur das System ficken wollte. Er schlief auf Baustellen, und seine morgendliche Katzenwäsche bestand darin, sich ein bisschen Staub vom Gesicht zu schlagen. Aber seit er bei FM4 arbeitet, hat das öffentlich-rechtliche Radio aus ihm einen Putz-Spießer gemacht. Ständig wischt er in seinem Fürnkranz-Anzug hinter uns her, immer steht er an der FM4- Eingangstür und zwingt uns, die Straßenschuhe gegen Hauspatschen zu wechseln. Ich meine: Sind wir

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