Spektrum
machen.
Nein! Auf einen solchen Reis können wir verzichten!
Martin maß zweihundert Milliliter Reis ab, den durchschnittlichen mittelkörnigen Iberika, eine demokratische und für jeden arbeitenden Menschen erschwingliche Sorte. Dieser Reis zeigt eine gewisse Tendenz, beim Kochen zu verkleben, was sich bei der richtigen Zubereitung jedoch vermeiden lässt.
Und Martin verstand etwas davon.
Den in eine Kasserolle gegebenen Reis goss er mit dreihundert Millilitern heißem Wasser auf. Natürlich nahm er dazu kein Wasser aus der Leitung, sondern welches aus einer der handelsüblichen Fünfliterflaschen mit Trinkwasser. Nur wenn er auf staubigen Pfaden ferner Planeten unterwegs war, fand Martin sich bereit, Wasser aus einem Ziegentrog zu trinken. Daheim erlaubte er sich dergleichen niemals! Diese Weisheit hatten die englischen Gentlemen stets beherzigt, die aufbrachen, um die Bürde des weißen Mannes zu tragen, und meist ebenfalls ein langes und glückliches Leben genossen – falls sie nicht an Ruhr starben.
Die Kasserolle deckte Martin mit einem schweren dichten Deckel ab, um sodann alles auf großer Flamme zu kochen. Elektrische Herde taugen für Amerikaner. Die sind an Synthetisches gewöhnt.
Exakt drei Minuten ließ er die Kascha auf dem Feuer brodeln. Sorgsam achtete Martin darauf, dass der Deckel nicht hochsprang und kein wertvoller Dampf entwich. Doch auch die Kasserolle verstand ihr Werk und hielt den Dampf.
Nach weiteren drei Minuten drosselte Martin die Flamme und stellte die Eieruhr auf sieben Minuten. Die Kascha beruhigte sich und köchelte nunmehr vor sich hin.
Die letzten zwei Minuten gestattete Martin dem Reis, auf ganz schwacher Flamme, welche selbst nicht mehr wärmte, sondern die Temperatur nur hielt, zu verschnaufen.
Zwölf Minuten – das war doch kaum der Rede wert, oder?
Nachdem Martin das Feuer weggenommen hatte, zog er den Brei weder von der Platte noch lüpfte er den Deckel. Gemächlich brühte er sich einen Tee auf, einen grünen Tee, der für Raucher, Übermüdete und generell für alle, die ein turbulentes Leben führten, sehr gesund ist. Zudem harmonierte er mit dem Reis weit besser als der dicke schwarze Aufguss, den man in der »zivilisierten« Welt normalerweise trank.
Das Aufbrühen von Tee, selbst von grünem, verlangt keine besonderen Kenntnisse. Man nimmt einfach gutes Trinkwasser, man nimmt eine Teekanne von richtiger Form und Größe, spült sie mit heißem Wasser aus und gibt Tee nach dem Prinzip: »Einen Löffel pro Tasse, einen für die Kanne« hinein. Dann wartet man die nötige Zeit ab, wobei es von entscheidender Bedeutung ist, den Tee, vor allem den grünen, nicht zu lange ziehen zu lassen! Und schon kann man ihn trinken.
Freilich ist Tee kapriziöser und ungleich stärker als Kaffee von demjenigen abhängig, der ihn kocht. In die Kanne muss man neben den notwendigen Zutaten unbedingt ein wenig Seele geben. Erst dann gelingt er. Einige Bekannte von Martin benutzten dieselbe Sorte Tee, kochten sie mit demselben heißen Wasser, achteten peinlichst auf die Zeit, brachten jedoch einfach kein göttliches Getränk zustande! So sind nun leider einmal die harten Tatsachen das Lebens. In solchen Fällen sollte man Lipton-Instanttee trinken und nicht von Größerem träumen …
Nachdem Martin die Kascha genau zwölf Minuten hatte quellen lassen, hob er den Deckel ab. Lächelnd, als begrüße er einen guten alten Bekannten, betrachtete er den lockeren, zugleich jedoch festen Reisbrei. Mit einem Löffel klaubte er eine Soldatenration, genau dreißig Gramm, Butter aus einem Päckchen, die er auf den Reis gab. Akkurat mengte er sie unter, wobei er sorgsam darauf achtete, sie tatsächlich unterzuziehen und nicht zu verrühren oder zu zerdrücken.
Nun konnte es losgehen.
Glücklich lächelnd – nicht immer war es ihm beschieden, in aller Ruhe und Gemütlichkeit zu frühstücken – aß Martin einen Teller Kascha, erbat bei sich selbst einen Nachschlag, welchen er sich sodann bewilligte. Er trank einen Becher duftenden Jasmintee und schenkte sich einen weiteren ein. Mit ihm trat er wieder ans Fenster, um seinen Tee ruhig und selbstvergessen zu genießen, dabei das draußen dahinfließende Leben beobachtend.
Düster war es. Das Wetter war in den letzten Jahren immer stärker aus den Fugen geraten, was manch einer den Schließern anlastete. Die Winter wurden wärmer, die Sommer heißer, während der Juni sich endgültig in einen regnerischen und kalten Monat verwandelt
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