Spektrum
Antwort erhielt er eine angedeutete, kaum wahrzunehmende Kopfbewegung. Der ehemalige Angehörige einer Sondereinheit, vielleicht sogar ein Alfa-Kämpfer – in einem solchen Haus durfte man sich über nichts wundern –, erachtete ihn zwar für nicht sonderlich gefährlich, aber dennoch eines gewissen Respekts für würdig.
Martin blieb zunächst ein Weilchen unter dem Vordach stehen, voller Bedauern, den Regenschirm zuhause vergessen zu haben. Während des Gesprächs mit Ernesto Semjonowitsch hatte der Regen über der Stadt eingesetzt – ein gewaltiger obendrein, denn inzwischen tüpfelten Pfützen die Trottoirs, der Himmel war undurchdringlich grau, irgendwo in der Ferne zuckten noch ohne Donnerbegleitung Blitze auf. Passanten gab es in den Straßen keine mehr.
Martin lockte die Aussicht, im Regen nach Hause zu gehen, ebenfalls nicht. Doch was blieb ihm anderes übrig? Sollte er versuchen, über sein Handy ein Taxi zu rufen? Er würde lange warten müssen, denn er dürfte nicht der Einzige sein, der auf diesen klugen Gedanken kam, zudem man es heute allgemein liebte, sich im Auto kutschieren zu lassen.
»Nehmen Sie den«, sagte jemand hinter ihm in sachlichem Ton. Die Türen in diesem Haus öffneten sich sehr leise.
Dankbar nahm Martin einen kleinen gediegenen Regenschirm für Herren aus den Händen des Concierge entgegen, der ausladend spannte, einen polierten Holzgriff sowie aus Kohlefaser gearbeitete Noppen am Ende der Rippen hatte. Martins eigener Schirm konnte da nicht mithalten. »Wann soll ich ihn zurückbringen?«, fragte er.
Der Wachtposten winkte ab. »Wann Sie wollen. Sie können ihn auch behalten. Den hat jemand vor einem Jahr im Fahrstuhl vergessen.«
Martin seufzte, als er sich die Menschen vorstellte, die sich angesichts eines solch hochwertigen Schirms nicht noch einmal herbequemten. Freilich gab es da auch noch eine gewisse Krankheit: Verkalkung.
»Vielen Dank. Sonst hätte ich hier noch zwei Stunden rumstehen müssen.«
Der Wachtmann spähte zum Himmel hoch. »Anderthalb Stunden«, schätzte er nach kurzer Überlegung. »Mehr nicht. Aber wie es schüttet … Keinen Hund jagt man da vor die Tür.«
Martin lachte. »Sagen Sie«, setzte er an, selbst wenn er sich dabei wie ein Waschlappen fühlte, »verstehen Sie von Hunden genauso viel wie vom Wetter?«
Der Concierge verkrampfte sich ein wenig. »Wie kommen Sie darauf?«
»Als Sie mich beobachtet haben, hielten Sie die Hand in der Tasche. Da habe ich ein Klackern gehört. Sie haben doch bestimmt einen Clicker statt eines Schlüsselbunds?«
Erstaunlich, wie ein Lächeln selbst das strengste Gesicht verwandelt!
»Stimmt!« Der Wachtmann zeigte seinen Clicker. »Ich habe drei Hunde. Dressierst du deine auch nach Karen Pryor?«
»Das habe ich. Mein Hund ist gestorben …«, sagte Martin, wobei er freilich verschwieg, dass der treue und gutmütige Retriever, der noch seinen Eltern gehört und sich jeder Dressur hartnäckig widersetzt hatte, bereits vor fünf Jahren an Altersschwäche gestorben war. »Ich habe hier jemanden besucht …« Er nickte zum Eingang hinüber. »Sie haben einen prachtvollen Hund. Ich habe mir schon überlegt, ob ich mir auch so einen zulegen sollte …«
»Der Malteser?« Der Wachtposten grinste. Offenbar konnte er über den Bildschirm in seinem Kabuff nicht nur die Treppe vor dem Haus, sondern auch alle Etagen überwachen. »Bart ist eine prima Töle, aber mit einem Malteser lädst du dir jede Menge Scherereien auf. Die ganze Exotik taugt nichts. Nimm einen kaukasischen Schäferhund, wenn du keine Angst vor Schwierigkeiten hast. Die sind nämlich ziemlich störrisch.«
»Bart?«, hakte Martin nach.
»Ja, so heißt der Hund. Nach irgendeiner Comicfigur.«
Martin und der Wachtposten rauchten sogar noch eine Zigarette zusammen, diskutierten die Vor– und Nachteile verschiedener Rassen und gelangten zu dem Schluss, Malteser Schäferhunde seien lediglich etwas für reiche Snobs oder Stammbaumfanatiker. Martin versprach, sich die Sache mit dem kaukasischen Schäferhund durch den Kopf gehen zu lassen, speicherte im Handy die Telefonnummer eines Clubs für Liebhaber dieser Rasse ein und verabschiedete sich aufs Freundschaftlichste von dem Concierge.
Es stimmte also. Man hatte ihn nicht an der Nase herumgeführt. Der Hund hieß Bart. Andere Hunde hatten die Poluschkins nicht, auch das hatte er aus dem aufgetauten Wachtposten ohne Mühe herausbekommen.
»Das geht mich nichts mehr an«, brummelte Martin, während er
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