Spektrum
zur Metro ging. Um jetzt ein Auto anzuhalten, troffen seine Schuhe zu stark, strotzten seine Hosen zu sehr von Dreck. »Überhaupt nichts. Sollen sie sich doch selbst die Zähne daran ausbeißen.«
Vor seinem inneren Auge schwirrte jedoch in einem fort das Gesicht Irinas, die die Hand vor die Pistole legte.
Bei allen Vorteilen, die ein echtes, ein papierenes Buch bot, ist der Gebrauch einer multimedialen Enzyklopädie entschieden bequemer. Martin liebte es, sich mit einem Reiseführer oder mit dem Werk von Garnel und Tschistjakowa auf dem Sofa zu flegeln, lächelnd Fotografien bekannter Orte zu betrachten, abschätzend die Landschaft unbekannter Planeten zu studieren und die zutreffenden, die zweifelhaften sowie die eindeutig falschen und überholten Beschreibungen zu lesen. Noch vor drei Jahren glaubte man, auf Eldorado gebe es keine Hurrikane, die Ureinwohner auf Pfad galten als intelligent, die Oulua dagegen als Tiere. Trotz allem versprach das Schmökern ein snobistisches Vergnügen, offerierte der Seele – gleich einer Karte fürs Bolschoi-Theater oder dem Bild eines der Maler aus dem Kreise der Peredwishniki – wahren Luxus.
Momentan verbat Martin sich dieses kontemplative Verhalten allerdings. Er schaltete den Computer an, lud die idiotische, für unbeleckte Gemüter konzipierte Enzyklopädie der Welten von Microsoft und gab den Suchbegriff »Bart« ein.
Mit etwas Vernünftigem wusste die Enzyklopädie nicht aufzuwarten. Ohne lange zu überlegen, gab Martin »Homer« ein.
Dasselbe Resultat.
Daraufhin ging er in die Küche, brühte sich einen starken Kaffee auf – einen löslichen, denn er erholte sich ja nicht, sondern arbeitete. An den Rechner zurückgekehrt, zündete er sich eine Zigarre an und starrte nachdenklich auf den Bildschirm, als warte er auf Erleuchtung.
Was hatte Irina ihm sagen wollen, als sie den Namen des Hunds veränderte?
Homer brachte ihn nicht weiter. Bart ebenfalls nicht.
Wie sah es mit der Frau von Homer aus?
Martin gab »Marge« ein.
Freudig spuckte die Enzyklopädie einen Link aus.
»Ha!«, rief Martin, wobei seine Begeisterung sowohl dem Malteser Schäferhund als auch der Comicfigur und allen Enzyklopädien der Welt galt.
Seine Arbeit hatte Martin schon in viele Welten geführt, über etliche wusste er zumindest in groben Zügen Bescheid. Marge schien ein öder Planet zu sein, der niemanden lockte …
Martin klickte den Link an, um den Artikel zu öffnen. Prompt brach er in noch lauteren Jubel aus.
Der Enzyklopädie zufolge handelte es sich bei Marge um die Heimat der Dio-Daos, einen Planeten, der Martin bestens unter der Bezeichnung Fakiu bekannt war. Man musste kein großes Licht sein, um darauf zu kommen, dass die englischsprachigen Bürger ihn anders nannten. Vor allem in einer populären Enzyklopädie, die sich an Kinder und Puritaner richtete.
Im Artikel fand sich denn auch ein knapper Hinweis in winziger Schrift, in dem es hieß, der »Planet trägt verschiedene Eigenbezeichnungen, unter denen die Verfasser die wohlklingendste gewählt haben«. Neugierig geworden griff Martin nach dem akademisch unprätentiösen Werk von Garnel und Tschistjakowa, in dem es gleichfalls in den Anmerkungen hieß, in populären englischsprachigen Nachschlagewerken werde die Welt der Dio-Daos Marge genannt, was in der Sprache der Dio-Daos nichts anderes als »Planet« bedeute. Anscheinend hatte Martin diesen Passus schon einmal gelesen, danach jedoch erfolgreich vergessen.
Einige Zeit sinnierte er über das linguistische Problem, mit dem die Menschheit sich herumgeschlagen hatte, bevor die Schließer gekommen waren. Es dürfte kein Zufall gewesen sein, dass der erste bulgarische Kosmonaut, der kühne Kakalow, in der Sowjetunion stets Iwanow genannt wurde – Fäkalien wollte man mit dem Helden nicht in Verbindung bringen –, während in den Schulen Aserbaidschans das Werk des großen deutschen Dichters Goethe nicht gelesen wurde, denn ›göte‹ heißt auf Aserbaidschanisch ›Arsch‹ …
Sei’s drum, Marge war Marge. Mit den Dio-Daos würde Martin ohnehin Touristisch reden, damit würden keine unliebsamen Assoziationen aufkommen.
Die eigentlichen Fragen waren ganz andere: Hatte er ins Schwarze getroffen? Und was sollte er mit dieser Information anfangen? Die erste Frage beantwortete sich Martin ohne zu zögern: Ja, er hatte ins Schwarze getroffen. Irotschka wollte ihre Eltern wissen lassen, in welcher Welt sich eine ihrer Kopien aufhielt. Aber was sollte er jetzt tun?
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