Spektrum
bereits einiges einstecken müssen. Natürlich nur in Form von Worten, denn auf dem Gelände einer Station konnte niemand einem anderen körperliche Gewalt antun. Die angespannten Gesichter der übrigen Reisenden ließen darauf schließen, dass die Kerle sich bereits das Missfallen aller zugezogen hatten. Schweigend stand Martin neben dem Aschenbecher und zündete sich eine Zigarette an.
Natürlich fassten die jungen Typen ihn ins Auge. Prompt erhob sich einer, marschierte auf Martin zu, bat ihn mit einer Geste um eine Zigarette und zündete sie sich an.
Martin fing kein Gespräch an.
»Sagen Sie, mein Goitester«, sprach ihn der Bursche lautstark an, »kennen Sie die Warmen Gefilde?«
»Ich bin bereits auf diesem Planeten gewesen.«
»Und haben Sie die Warmen wirklich gefielt? Oder gefillt?« erkundigte sich der junge Mann, wobei er ohne jedes Talent den »jüdischen« Akzent nachahmte.
»Junger Mann, hören Sie auf mit diesen Mätzchen!«, platzte es aus dem Juden heraus.
Entzückt wandte sich der Kerl zu ihm um. »Was mecht er denn? Sind Sie ein Antisemit? Oder sind Sie ein Warmer?«
Der Trupp auf dem Sofa wieherte begeistert los. Die Burschen malträtierten alle anderen vor allem mit zwei Themen: mit der Judenfrage und der Homosexualität.
Sie selbst waren größtenteils keine Juden.
Der Mann erhob sich und schoss schnellen Schrittes auf den Mann zu. Er sah kräftig genug aus, um diesem Widerling gehörig einzuheizen … wenn es nicht gerade an diesem Ort gewesen wäre … Außerdem hatte der Bursche noch drei Kumpane bei sich … Martin schnappte den Mann beim Arm, kurz bevor der sein süffisant grinsendes Ziel erreicht hatte.
»Nehmen Sie eine Zigarette«, forderte Martin ihn auf, während er ihn fest gepackt hielt.
»Ich rauche nicht.« Der Mann antwortete nicht gleich und hielt den hasserfüllten Blick starr auf den Kerl gerichtet.
»Dann rauchen Sie jetzt«, bat Martin. »Tun Sie mir den Gefallen. Jede physische Aggression innerhalb der Station führt nur dazu, dass Sie ausgelöscht werden. Ich weiß nicht, wohin Sie verschwinden würden, aber danach würde Sie nie wieder jemand sehen.«
Der Mann schluckte. Dann nickte er. Er ließ sich von Martin eine Zigarette geben, darauf gingen beide zum Aschenbecher.
»Seid ihr also doch warme Brieder?«, kreischte der Kerl weiter.
Martin hatte zunächst gar nicht begriffen, was da im Gange war. Der Bursche provozierte! Martin, den Juden und alle Übrigen, die warteten, bis die Reihe an sie kam, durch das Große Tor zu gehen! Zu gern wollte dieses Pack sehen, wie sich einer der Anwesenden in Luft auflöste.
»Jede Aggression in der Station ist verboten«, wiederholte Martin, eher für sich selbst als für den jungen Dreckskerl und seine Opfer.
»Man muss sich ja schämen«, sagte ihm der Jude, der ungeschickt an der Zigarette nuckelte. »Für solche wie die da … kann man sich nur schämen.«
»Tun Sie das nicht«, erwiderte Martin. »Und nehmen Sie es nicht persönlich. Eher sollten Sie sie bedauern. Die Burschen werden das sichere Gelände der Station verlassen. Früher oder später werden sie jemandem begegnen, der ihren spezifischen Sinn für Humor nicht goutiert. Und in den Kolonialwelten herrschen simple Sitten.«
»Wovon sprecht ihr denn, meine warmen Brieder?«, fuhr der Kerl fort.
»Da haben wir’s, er fängt schon an, sich zu wiederholen«, konstatierte Martin. »Ein solches Verhalten trifft man sonst nur im Internet an, wo keine Gefahr besteht, eins auf die Nase zu kriegen. Jetzt glauben diese Jungs anscheinend, einen weiteren Ort gefunden zu haben, an dem sie sich unbeschadet über ihre Umwelt lustig machen können, nämlich die Stationen. Aber wenn man eine Station betritt, muss man Eintritt zahlen. Hier wird sie nicht retten, dass sie nur mit Worten spielen.«
»Dann seid ihr also Antisemiten!«, wiederholte der Bursche einfältig. »Ja?«
Martin sah ihn erneut an. Er versuchte – ganz wie er es normalerweise bei Fotografien von Klienten tat – sich in die Seele des Menschen einzufühlen, in seine innere Welt, seine Träume … in den Sinn seines Lebens. Seine schwachen Punkte. Seine Komplexe. All die winzigen, unsichtbaren Sprungfedern, die einen Menschen antreiben.
Es gelang ihm.
Darauf fing er an zu reden. Genauso wie er mit den Schließern redete, wenn er sie vom Wert einer gerade eben ersonnenen Geschichte zu überzeugen suchte.
Nur musste er jetzt diesen Burschen überzeugen.
Martin bediente sich nicht eines
Weitere Kostenlose Bücher