Spektrum
merklich gewachsen. Jetzt war er etwa so groß wie ein Kind von sieben oder acht Jahren. Die Kindheit der Dio-Daos währt nicht lange – falls man diese Periode körperlichen Wachstums überhaupt Kindheit nennen darf. Schließlich macht den Prozess des Reifens bei einem Menschen auch nicht das Wachstum und das Auftreten sekundärer Geschlechtsmerkmale aus. Kindheit bedeutet, sich die Welt anzueignen. Für die Dio-Daos indes ist die Welt bereits vor der Geburt verständlich und vertraut …
Dann frühstückten sie. Auf dem Tisch standen Unmengen von leicht angebratenem Fleisch mit einer dicken scharfen Soße, etwas, das an Weichkäse erinnerte, sowie gedämpftes, bohnenartiges Gemüse. Und Tee, viel Tee, der übermäßig süß und stark schmeckte.
Vom Fleisch aß nur der Dio-Dao.
»Ich habe alles in Erfahrung gebracht«, informierte Eff-Eff sie, dabei Portion um Portion vernichtend. »Die Frau Irina ist mit dem Linienzug ins Tal Gottes gefahren. Das ist nicht teuer und recht bequem, aber der Zug wird erst heute Nachmittag am Ziel eintreffen. Wir werden den Express nehmen und am späten Abend ankommen. Die Frau wird nicht sehr viel Zeit haben, eine Dummheit zu begehen.«
»Was denn für eine Dummheit?« Martin verkrampfte sich.
»Ich habe lange darüber nachgedacht«, sagte Eff-Eff bescheiden. »Meinen Vater hielt die Sorge angesichts des nahenden Todes zu gefangen, als dass er sich ernsthaft mit dem Problem hätte befassen können. Aber wenn ich mich nicht täusche, bin ich dahintergekommen, was Irina vorhat.«
»Dann schieß mal los!«, grummelte Martin.
»Du hast gesagt, die Frau habe eine Liste mit den Rätseln des Universums in die Hände bekommen«, fing der Dio-Dao an. »Natürlich führen alle Zivilisationen entsprechende Listen, natürlich versuchen alle, die Rätsel zu lösen. Aber die Frau Irina versucht das eine oder andere auf eigene Faust zu entdecken. Mithin bedarf sie einer umgehenden und eindeutigen Antwort auf die eine oder andere globale Frage. Sehen wir uns doch noch einmal an, womit sie sich bislang beschäftigt hat. Als Erstes wollte sie das Geheimnis von Bibliothek lüften. Das ist in der Tat eine immens wichtige Frage. Gehört der Planet den Schließern oder einer anderen, nunmehr verschwundenen Rasse, deren Obelisken nach wie vor ihre uralten Geheimnisse hüten? Vielleicht handelt es sich dabei um eine Art Chronik des Universums. Vielleicht um eine noch unbekannte göttliche Offenbarung. Die Sprache Bibliotheks hat sich jedoch einer raschen Decodierung entzogen. Als Nächstes trachtete die Frau Irina danach, Licht in das Rätsel der alten Tempel auf jenen Planeten zu bringen, auf denen die Schließer gelandet sind. Eine nicht minder wichtige Frage! Falls diese Tempel wirklich existiert hatten und unbekannte Artefakte bargen, dann war es kein bloßer Zufall, dass die Schließer diese Welten besucht hatten … dann waren sie den Signalen dieser Tempel gefolgt! Was hieße das? Bewiese es die Existenz einer uralten Zivilisation? Hieße es, dass alle intelligenten Rassen gemeinsame Wurzeln haben? Gab es in längst vergessener Vergangenheit ein Transportnetz, das den Großen Toren der Schließer entsprach? Dies wäre eine höchst aufschlussreiche und globale Information … Bedauerlicherweise blieb das Rätsel ungelöst. Dann der dritte Planet, auf dem die Frau Irina war. Ein großes Geheimnis, das zweifellos die gesamte Philosophie in den Grundfesten erschüttern würde! Gibt es einen immateriellen Träger des Verstands, gibt es eine Seele, und daran anknüpfend: Gibt es ein Leben nach dem Tod? Die Krux ist freilich, dass Irina sich selbst widersprach, als sie mit physikalischen Methoden etwas Mystisches nachzuweisen versuchte … Die vierte Welt ist unsere. Ihre entscheidende Einmaligkeit sehe ich genau wie mein Vater im Glauben an einen Undefinierten Gott.«
Kadrach rutschte auf seinem Stuhl hin und her, sagte jedoch kein Wort.
»Was hofft Irina also auf unserem Planeten zu enthüllen?«, fuhr Eff-Eff fort. »Nun, das Geheimnis aller Geheimnisse! Auf der Grundlage von Fakten und nicht des Glaubens will sie herausbekommen, ob es einen Gott gibt. Wie? Eine der Besonderheiten aller großen Religionen ist, dass sich die Existenz Gottes, selbst wenn sie sich in Wundern zeigt, nicht beweisen lässt. Denn die Wunder können nicht dokumentiert werden und überzeugen nur einzelne Individuen, oder sie werden falsifiziert und mit natürlichen Ursachen erklärt, oder sie liegen so weit in der
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