Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spektrum

Spektrum

Titel: Spektrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
Vom Netzwerk:
wohl, Dio-Dao«, sagte Kadrach. Ohne Frage fühlte er sich unbehaglich, dieser große, kräftige, aggressive und stolze Geddar. Angesichts des ausgesöhnt sterbenden Dio-Daos, in dieser Nacht des Todes und der Geburt, schienen dem Geddar alle Prinzipien unangemessen und naiv, gleichsam als spielten Kinder mitten auf einem versengten Schlachtfeld mit Zinnsoldaten.

Vier
     
    Die Geburt von Den-Der-Freund-Fand erwies sich als keineswegs so einfach, wie Herbstgeborener es darzustellen versucht hatte. Die Schwangerschaft hatte länger gedauert als normalerweise üblich, weshalb der Beutel des Dio-Daos inzwischen für das Kind zu klein war. Der Kopf schlüpfte leicht nach draußen, die Schultern glitten ebenfalls problemlos heraus, wohingegen der Rumpf unter keinen Umständen ans Licht wollte. Tapfer ertrug Herbstgeborener die Qualen, möglicherweise minderte der Hormonausstoß auch das Schmerzempfinden. Dennoch vermeinte Martin in einem bestimmten Augenblick, er müsse zum Messer greifen und den Kaiserschnitt an einem Außerirdischen ausprobieren.
    Am Ende schaffte Herbstgeborener es dann doch allein.
    Einige Minuten lang schöpfte das Junge – es war nicht größer als ein Kind von fünf, sechs Jahren – im Bett neben seinem Vater Kraft. Herbstgeborener flüsterte etwas und streichelte seinen Sohn zärtlich, mit dem er nach wie vor über die Nabelschnur verbunden war. Vielleicht konnte er ihm sogar immer noch etwas von seinem Gedächtnis weiterreichen – doch diese Frage traute Martin sich nicht zu stellen.
    Die Nabelschnur fiel dann von selbst ab. Den-Der-Freund-Fand trocknete sich mit feuchten Handtüchern ab und blieb so lange neben seinem Vater sitzen, bis dieser aus dem Leben schied. Erst danach wandte er sich Martin zu.
    »Ich gehe jetzt duschen und esse etwas«, erklärte er. »Hilfst du mir danach, seinen Körper zu bestatten?«
    Martin nickte. Wie bizarr und schrecklich, sich mit einem neugeborenen, indes schon uneingeschränkt selbstständigen Wesen zu unterhalten.
    Immerhin freute er sich über den Fortschritt, den die Zivilisation der Dio-Daos gemacht hatte: Die Kinder mussten nicht länger den Körper ihrer Eltern essen.
    Den-Der-Freund-Fand ging ins Wohnzimmer hinüber, nickte Kadrach zu und hielt auf die Duschkabine zu. Zumindest äußerlich zeigte sich der Geddar zu Martins Freude ungerührt. Während sich das Kind wusch, hüllte Martin den Körper von Herbstgeborenem in ein feines Leichengewand, das nicht aus Stoff, sondern aus festem grauen Papier gefertigt war. Er versuchte, dem Dio-Dao die Augen zu schließen, doch dieser starrte trotzig in die für immer angehaltene Zukunft.
    »Was bleibt zu sagen?«, murmelte Martin. »Du … du warst ein feiner Kerl … kein Mensch, natürlich nicht, nicht einmal ein Mann, sondern ein Hermaphrodit … Aber in jenem Tohuwabohu vor drei Monaten warst du mir eine echte Hilfe … Und dein Sinn für Humor gefiel mir … Den Menschen gegenüber hegtest du keine Vorbehalte.«
    Martin verstummte, mehr wollte ihm einfach nicht einfallen.
    »Ruhe in Frieden«, schloss er, während er das Gesicht von Herbstgeborener bedeckte. »Möge die Erde dir leicht sein.«
    Eine Stunde später, als das Kind, das seinen ersten Hunger gestillt hatte, mit der Bestattung seines Vaters beginnen wollte, musste Martin einsehen, wie naiv anthropozentristisch dieser Ausdruck doch war. Die Dio-Daos bestatteten ihre Toten nicht. Martin und Den-Der-Freund-Fand – dieses junge Wesen verfügte über erstaunliche Körperkräfte – trugen den Körper schlicht zum Stadtrand. Kadrach folgte ihnen schweigend, bot seine Hilfe indes nicht an, beobachtete die Prozedur jedoch mit Interesse. An einem hohen Gitterzaun blieben sie stehen. Den-Der-Freund-Fand machte im Zaun eine schmale Pforte ausfindig, die ein kräftiger Riegel sicherte. Sie trugen den Körper durch den Eingang, betteten ihn auf die Erde und gingen.
    Kaum hatten sie das eingezäunte Gelände verlassen, raschelte etwas, und ein ekelhaftes, hartnäckiges Schmatzen ließ sich vernehmen.
    »Was ist das?«, fragte Martin, gegen Brechreiz ankämpfend.
    »Vieh«, antwortete Den-Der-Freund-Fand einsilbig. Er sah Martin an und nickte. »Ja, wir überlassen einen toten Körper den Tieren zum Fraß. Wir sterben zu oft, als dass wir einen kompletten Kreislauf der organischen Stoffe verwenden und den Körper als Dünger in der Erde vergraben könnten.«
    »Und esst ihr diese Tiere dann?«, hakte Kadrach nach.
    »Nein, wir geben sie größerem Vieh zum

Weitere Kostenlose Bücher