Spektrum
und stumm dastanden, um die Hände zur Reinigung durchs Wasser gleiten zu lassen. Martin sprang ins kalte Wasser und stakte durch das nicht sehr tiefe, ihm lediglich bis zur Brust reichende Wasser. Die Dio-Daos sahen zu ihm hinüber, sagten jedoch kein Wort.
Nachdem Martin einen steinigen Abhang hinaufgekraxelt war – Wege gab es keine –, rannte er zum Eingang, der in den Schwertgriff des ThaiGeddars führte. Eine Tür fehlte, statt dessen schirmte ein Vorhang aus feinen Metallfäden den Eingang ab. Hinter dem vibrierenden Vorhang tanzte der Widerschein eines roten Lichts, Stimmen klangen zu ihm herüber – die etwas auf Touristisch rezitierten!
»Hört auf!«, schrie Martin, während er in den Tempel der Geddarn stürmte. »Keine Bewegung!«
Sie rührten sich ohnehin nicht, die beiden Dio-Daos im Tempel, die Geddargewänder trugen – eine Fleisch gewordene, perfide und doch gelungene Karikatur. Bei ihnen stand ebenso reglos eine Menschenfrau, Irina Poluschkina, völlig nackt, mit einem Berg von Kleidern zu ihren Füßen. In den Händen der Dio-Daos funkelten die Schwerter der Geddarn, die aus geschmolzenen Keramikfäden gefertigt waren. Das Bild erinnerte Martin lebhaft an das Titelbild eines dieser jämmerlichen Fantasywerke, die wieder und wieder das Thema »die Schöne und das Biest« variierten.
»Rührt sie nicht an!«, schrie Martin. Erst in diesem Moment gewahrte er, dass niemand Irina festhielt und die Dio-Daos ihre Schwerter nicht am Griff, sondern an der Schneide gepackt hielten. Wenn er ihnen nicht unterstellte, sie wollten auf Irina mit den Griffen einschlagen, drohte der Frau keine Gefahr.
»Du bist erregt und aufgelöst«, meinte einer der Dio-Daos mit großer Ruhe, als er den Blick auf Martin richtete. Schon im nächsten Moment steckte er das Schwert in die Scheide auf seinem Rücken zurück. »Was beunruhigt dich?«
»Hört nicht auf dieses Mädchen, sie hat sich eine Dummheit einfallen lassen«, sagte Martin rasch, während er auf Irina zuging.
»Ich habe Sie nicht um Rat gebeten, Martin … und auch nicht um Hilfe!«, rief Irina zornig aus.
Martin staunte nicht einmal mehr darüber, dass die Frau seinen Namen kannte. Schweigend fasste er sie bei der Hand und zog sie ein paar Schritte von den Dio-Daos fort. »Ihr Vorschlag beruht auf einem Irrtum«, beteuerte er. »Ihr dürft sie nicht …«
»Woher weißt du, was ich ihnen vorgeschlagen habe?«, fragte Irina.
»Und woher weißt du, wer ich bin?«, parierte Martin. Die Frau erstarrte, worauf Martin sich wieder den Priestern zuwandte. »Das Mädchen hat sich da in etwas verrannt, der ThaiGeddar wird sie nicht wieder zum Leben erwecken …«
»Natürlich wird er das nicht«, meinte der Dio-Dao im azurblauen Gewand nickend. Dann bedeutete er seinem Kameraden, der in Salatgrün gekleidet war, mit einer Kopfbewegung etwas. Dieser zog sich daraufhin zurück. »Niemand hat die Absicht, sie zu töten. Beruhige dich. Zähle in Gedanken bis zwölf und wiederhole nach jeder Zahl das Wort ›Thai‹!«
Wie kindisch dieser Rat auch anmutete, Martin befolgte ihn. Eins – Thai! Zwei – Thai!, begann er sich innerlich vorzuzählen.
Anscheinend begriff Irina erst in diesem Moment, dass sie nackt vor einem Mann ihrer Rasse stand. Sie wollte sich ihm entreißen, doch Martin hielt sie fest gepackt. Daraufhin machte sich Irina steif und richtete sich zu voller Größe auf wie ein junges Fotomodell, das ohne Scham für den Playboy posiert. Das war nur richtig, denn es lässt sich kaum etwas Alberneres denken als eine nackte Frau, die versucht, ihre Blöße mit den Händen zu bedecken.
Drei – Thai! Vier – Thai!, zählte Martin in Gedanken weiter, während er den Blick schweifen ließ. Von seiner feuchten Kleidung tropfte es auf den steinernen Mosaikboden, worüber die Dio-Daos indes höflich hinweggingen.
Im Innern wirkte der Tempel der Geddarn recht klein. Von annähernd runder Form, waren die Wände mit purpurrotem Samt drapiert. Einen Altar oder Ikonen gab es nicht. Nur an der Kuppel der recht niedrigen Decke entdeckte Martin eine Bemalung, die indes so abstrakt war, dass er nicht zu erraten vermochte, was sie darstellen sollte. Licht, Schatten, unklare Silhouetten …
Fünf– Thai! Sechs – Thai! Sieben – Thai!
Martin presste Irinas Handgelenk fester und fester. Er sah ihr in die Augen. Die junge Frau hielt dem Blick stand, belohnte ihn sogar mit einem verächtlichem Wimpernaufschlag.
Acht – Thai! Übers Knie legen sollte man dich!
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