Spektrum
die die Grundlage des Glaubens der Geddarn bilden. So wird jeder Geistliche des ThaiGeddars, der stirbt, um die Aufrichtigkeit seiner Hingabe und die Tiefe seines Glaubens zu bezeugen, in neuem Fleisch wiedergeboren.«
Martin rang sich ein skeptisches Lächeln ab.
»Dies auch noch unverzüglich«, fügte Claus glattzüngig hinzu.
»In der Geschichte der Geddarn gab es Religionskriege«, wandte Martin ein. »Aber von einer massenhaften Auferstehung toter Geddarn habe ich bislang nichts gehört.«
»Natürlich nicht«, meinte Claus. »Man glaubt jedoch, dies deute auf einen mangelhaften Glauben der Verstorbenen hin. Gleichwohl ist die sofortige Auferstehung des Körpers versprochen. Die Geddarn behaupten sogar, derartige Fälle seien bereits mehrfach beobachtet worden.«
Martin wurde unbehaglich zumute. »Die junge Frau könnte sich zum Tempel begeben und darum gebeten haben, sie im Namen des ThaiGeddars zu opfern«, sagte er. »Zuzutrauen wäre ihr das …«
»Dann kann sich immer noch herausstellen, dass ihr Glaube nicht stark genug ist«, meinte Claus lächelnd. »Darauf läuft es ja meist hinaus.«
»Es gibt noch das Ritual der Läuterung bei den Chri …«, mischte sich Elsa mit gerunzelter Stirn ein.
»Und hat der Stein nach dem letzten Ritual angefangen, Früchte zu tragen?«, verhöhnte Claus sie. »Wenn du schon damit anfängst, solltest du auch noch den Feuertanz der Schealier erwähnen … Nein, falls man ein spektakuläres Experiment durchführen will, dann bei den Geddarn. Selbstverständlich besagt ein negatives Resultat rein gar nichts, ein positives jedoch …« Er lächelte, doch gleich darauf verfinsterte sich seine Miene und er versank in Grübeleien.
»Ich breche jetzt auf«, erklärte Martin, indem er sich erhob. »Vielen Dank für die Bewirtung …«
»Und Sie wollen sich wirklich ins Tal begeben?«, fragte Claus überraschend.
»Halten Sie es für gefährlich?«, fragte Martin zurück.
»Ich glaube nicht, dass Sie sich körperlichen Gefahren aussetzen«, erklärte Claus. »Aber was die seelischen angeht …«
»Lassen Sie uns davon ausgehen, dass ich versuchen werde, den seelischen Tod jener Frau zu verhindern«, beruhigte ihn Martin.
Martin hatte erst die Hälfte des Weges zum Eingang des Tals zurückgelegt, da bereute er bereits, seinen Rucksack und den Karabiner nicht bei den europäischen Spionen zurückgelassen zu haben. Das Laufen fiel ihm schwer, denn die Luft war hier dünn.
Das Regenbogentor erreichte Martin wie aus dem Wasser gezogen, unter Atemnot leidend, Zigarren, die Pfeife und jede Form von Völlerei verfluchend. Zudem spürte er, dass er es über dem Tee und dem Gespräch verabsäumt hatte, eine höchst vordringliche Sache zu erledigen, weshalb er jetzt Gefahr lief, gegen die hiesigen Gesetze zu verstoßen. Martin rannte so schnell zum Tor, dass ihm keine Kraft mehr blieb, den Torbogen in Ruhe zu betrachten. Aus synthetischem Material war er erbaut, das bekam Martin noch mit, und er setzte sich nicht etwa aus sieben unterschiedlichen Farbstreifen zusammen, sondern aus mindestens drei Dutzend.
Einige Dio-Daos traten aus einer Wohnkuppel heraus und postierten sich auf Martin wartend vor dem Tor.
»Das Tal darf man nicht mit einer Waffe betreten«, erklärte einer der Außerirdischen, den Blick unverwandt auf den im Futteral steckenden Karabiner gerichtet.
Schweigend warf Martin Rucksack wie Karabiner zu Boden und kramte den gesamten Inhalt seiner Tasche inklusive des Schweizer Taschenmessers hervor.
»Nun bist du sauber und darfst eintreten«, erklärte derselbe Dio-Dao.
Martin schüttelte den Kopf und fragte, sich wie eine Witzfigur vorkommend, doch von der Einsicht getrieben, dass es anders nicht ging: »Gibt es in eurem Kuppelhaus eine Toilette?«
Zum ersten Mal in seinem Leben war es Martin vergönnt, ein derart massenhaftes und homerisches Gelächter auszulösen. Diejenigen der Dio-Daos, die nicht schwanger waren, krümmten sich vor Lachen, die anderen überließen sich einem leichten Zittern und hielten sich die schweren Bäuche. Hier und da lugte aus einem der Beutel ein Kind.
»Du … bist du deshalb so gerannt?«, fragte ein Dio-Dao. »Ja?«
»Ich halte eure hirnlosen Gesetze ein!«, schrie Martin. »Gibt es hier ein Örtchen?«
»Gehen wir«, meinte ein Dio-Dao nickend, der noch immer sanft kicherte. »Gehen wir, Wallfahrer …«
Eine Minute später löste Martin, als er wie eine Kugel aus dem Kuppelhaus stürzte, erneut hysterisches Gelächter
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